Rezension

Sprachlich stark - inhaltlich weniger

Baumgartner -

Baumgartner
von Paul Auster

Bewertet mit 3.5 Sternen

Mein Lieblingsautor, seit drei Jahrzehnten

''Baumgartner' und 'Auster' lassen mich etwas ratlos zurück, alle beide, und das, obwohl ich mit letzterem seit drei Jahrzehnten vertraut bin.

Auster ist mein Lieblingsautor und ich würde kühn behaupten, dass ich alle seine Werke besitze und gelesen habe. Auf sein neuestes Werk bin ich durch einen Pressebeitrag in der 'Zeit' bzw. in unserer Regionalzeitung aufmerksam geworden.

Als jüngere Alte fesseln mich in den letzten Jahren Themen wie Alter ('die Zeit schrumpfender Perspektiven, 111'), späte Jahre, Tod, Verlust eines geliebten Menschen ganz besonders.

Austers autobiographischer Roman ist im Jahr 2018 verortet. Der einsame Protagonist Sy Baumgartner, seines Zeichens Schriftsteller, hat seine geliebte Frau und intellektuelle Seelenverwandte Anna (Blume), Schriftstellerin und freie Übersetzerin vor zehn Jahren an einen Badeunfall verloren: 'Sie war die Einzige auf der Welt, die ich jemals geliebt habe, und jetzt muss ich herausfinden, wie ich ohne sie weiterleben kann (36)'. 'Baumgartner hat noch Gefühle, er liebt noch, er begehrt noch, er will noch leben, aber sein Innerstes ist tot (57)'. Beeindruckend, was Sy die ersten 6 Monate nach Annas Tod so alles anstellt, es geht sogar so weit, dass er Anna Briefe schreibt, sie abschickt und anschließend wieder selbst in Empfang nimmt. Das Phänomen der 'Vergesslichkeit' nimmt mit den Jahren eine immer größere Rolle ein. Der angebrannte Topf auf dem Herd hat eine Bedeutung! Baumgartner, der sich selbst als 'Klappergestell' tituliert, ist inzwischen 72 Jahre alt. Welch' ein Glück oder Zufall?, eines von Austers Lieblingsthemen, dass der Stromableser ED zur rechten Zeit am rechten Ort ist und Baumgartner nach seinem Sturz von der Kellertreppe beistehen kann, sein persönlicher'Engel der Barmherzigkeit' (26). Baumgartner verschwindet in der 'Welt des Damals', taucht ab in Erinnerungen, beginnt sich auf Spurensuche innerhalb seiner eigenen Familiengeschichte, geleitet von dem Wunsch, die Identitäten und Charaktere jedes einzelnen minuziös darzustellen und somit selbst zu verstehen.'(...) etwas über meine Familie erzählen könnte, diese namenlose Schar unsichtbarer Vorfahren, die in alle Winde zerstreut, gestorben und am Ende aus der Sphäre dessen, was man wissen kann, verschwunden waren (159)'. Er schildert das Leben von Mutter (1919-1981) und Vater (1905-1965). Er fährt in die Ukraine und besucht den Heimatort seines Großvaters: '(…) da die Ukraine die eine Seite mit Strom versorgt, der dort die Dinge am Laufen hält, muss sie auf der anderen Seite Blut vergießen, um ihr schrumpfendes, umkämpftes Territorium zu verteidigen (158)'. Dann ist da noch Naomi, seine jüngere, streitsüchtige Schwester. Sy beginnt, in Annas Aufzeichnungen zu lesen, in ihren unveröffentlichten Gedichten und Manuskripten.

Inhaltlich spricht mich der Roman weniger an, durch das letzte Fünftel musste ich mich regelrecht hin-durchkämpfen, da mir der ganze Trubel um Annas literarische Hinterlassenschaften viel zu langatmig, detailliert und auch zu – wie soll ich es sagen- arrogant aus der Perspektive eines zurückgelassenen Ehemanns erscheint. Auster war immer ein schöner Mann, ein Lebemensch, aber seine Darstellung, dass er sich angeblich durch seine Affären nicht schuldig gemacht hätte, spiegelt seine Einstellung zu Seitensprüngen. Ich halte eine solche Auto-Absolution für vermessen, um nicht zu sagen überheblich. Die Schuldfrage sollten andere beurteilen, nicht zuletzt die eigene Ehefrau.

Frühere Werke Austers haben mich auch inhaltlich gefesselt und bewegt. Nach wie vor ist es aber Austers Sprache, die mich in ihren Bann zieht, so z.B. seine Fähigkeit ohne einleitende Floskeln Dialoge abzubilden, seine Metaphern, wie z.B. 'sinnlose Feldzüge' (85) für Affären. Nomen est omen, Baumgartner, Anna Blume, Judith Feuer, davon abgesehen, dass die Namenswahl jüdische Wurzeln kennzeichnet.

Meine Sterne gibt es diesmal nur für die sprachliche Darstellung, Austers unsterbliche Wortgewalt. Ich müsste dieses Buch kein zweites Mal lesen, was ich bei Austers anderen Veröffentlichungen durchaus immer mal wieder über die Jahre praktiziert habe.