Rezension

spannende, gefühlvolle Geschichte mit einer bildgewaltigen Schreibsprache

Der Herr der Wilden Jagd - Janna Ruth

Der Herr der Wilden Jagd
von Janna Ruth

Bewertet mit 5 Sternen

Der zweite Band der Märchenadaption-Reihe lädt in die Natur von Wales ein, weit weg von all dem Glamour und Glücksspiel. Mit Sturm, unheimlichen Geheul der Cwn Annwn und faszinierenden Figuren hat mich diese Novelle von der ersten Seite an gefesselt. Mitten drin, statt nur dabei. Dafür war auch der lebhafte Schreibstil verantwortlich, der bildgewaltige Szenen vor meinem Auge heraufbeschworen, manches Mal auch zum Träumen angeregt und mich das Abenteuer miterleben und mitfühlen lassen hat.

Arawn, der im ersten Band eine Nebenrolle eingenommen hat, erhält hier seine Bühne und bringt uns mitten in das Grün seiner Heimat mit all seiner Wildheit und Schönheit zugleich. Während der Jagd sind der Wind, das Rascheln der Blätter, das Rauschen des Flusses, das Feeling von Jagen und Gejagt werden richtiggehend spürbar und die Landschaft breitet sich vor einem aus, als wäre man selbst dort.

Die Figuren sind facettenreich angelegt und haben mich allesamt von sich überzeugt. Arawn, ehrlich und direkt, ist der Sturm selbst und das merkt man auch an seinem Gemüt. Das wird auch Carys deutlich bewusst, als sie in seine Augen schaut und ihr Leben langsam aus der vorgegebenen Bahn fällt. Denn der Feenkönig versteht es, Carys aus ihrem selbst auferlegten Gefängnis herauszulocken und die Freude am Leben zurückzubringen. Die junge, starke Frau hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, sich um ihren Bruder Dylan zu kümmern, auch wenn es bedeutet, ihre eigenen Wünsche und Träume zu vernachlässigen. Ihre aufopferungsvolle Art ist dem Handicap des Bruders geschuldet, der als Autist viel Aufmerksamkeit und einen geregelten Alltag benötigt. Mit viel Einfühlungsvermögen hat die Autorin den Alltag beschrieben und wie schwierig manche Situationen sein können. Auch die Darstellung der Sichtweise von Dylan, wie er die Welt und alles drumherum wahrnimmt, wurde schön beschrieben. Es war herrlich mitzuverfolgen, wie er als Reh aufblühte und einfach sein konnte, während er mit der wilden Jagd gerannt ist. Dylan und der Feenkönig gleichen sich in der Art, wie sie ihr Leben gestalten und bilden einen starken Kontrast zu Carys, die alles abwägt und kaum Risiken eingeht, um Freiheit und Lebendigkeit im Leben zu spüren. Die zarte Bande der Liebe zwischen Carys und dem Feenkönig wird von der Hexe, in Gestalt einer Reiterin, immer wieder auf die Probe gestellt, aber auch das Chaos, welches in ihr geregeltes Leben tritt, und andere Wendungen bringen neue Herausforderungen mit sich, die zusammen für reichlich Spannung gesorgt haben. Als Carys zur Beute auserkoren und gejagt wird, wartet die Geschichte mit der grössten überraschenden Wendung auf, mit der ich so nie gerechnet hätte, die aber wunderbar zur Gesamtgeschichte und zur Figurenentwicklung von Carys passt. Gefühlvolle, zartsüsse Momente zwischen dem Liebespaar werden von actionreiche Szenen abgelöst und umgekehrt. Es wird nie langweilig und obwohl es nur eine Novelle ist, hat die Autorin auf den wenigen Seiten eine tiefgründige Geschichte aus den Federn gezaubert, die auch zum Nachdenken anregt.

Von mir gibt es 5 von 5 Sterne für dieses rasante, wilde sowie berührende Abenteuer mit authentisch handelnden Charakteren, nachvollziehbaren Figurenentwicklungen und einem hohen Spannungsbogen.

Die Sage »wilde Jagd« und das Märchen »Brüderchen und Schwesterchen« wurden vom Autorinnenduo Tina Skupin und Janna Ruth zu etwas Neuem verwoben und können auch unabhängig voneinander gelesen werden. Ich kenne beide Vorlagen gar nicht und behaupte, dass Kenntnisse auch nicht notwendig sind, um die Novellen geniessen und verstehen zu können.