Rezension

Schauerstimmung im viktorianischen Gewand

Das Korsett -

Das Korsett
von Laura Purcell

Bewertet mit 5 Sternen

Ist es möglich mit Nadel und Faden zu töten? Diese Frage schwebt über den gesamten Roman als Ruth Butterham ihre Geschichte im Gefängnis erzählt. 

„Das Korsett“ fällt ins Genre viktorianischer Thriller, welchem ich bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe. Zwar ist Autorin Laura Purcell keine Unbekannte für mich, weil ich bereits „Die stillen Gefährten“ gelesen habe, doch dass mich „Das Korsett“ dermaßen überzeugt, hätte ich niemals erwartet.

Das Cover finde ich richtig hübsch und die Inhaltsbeschreibung klang ansprechend. Ausgerechnet aufgrund der ansehnlichen Gestaltung ist das Buch dann längere Zeit in der Warteschleife gewesen. Ich hatte nicht erwartet, dass sich hinter dem schmucken Äußeren ein großartiger, vielschichtiger und schaurig-schnittiger Thriller verbirgt.

Laura Purcell führt den Leser ins viktorianische Zeitalter, wo wir an der Seite von Dorothea Truelove allgemeinen Interessen der Oberschicht frönen. Sie stammt aus wohlhabenden Hause und hat sich der Gemeinnützigkeit verschrieben. Deshalb unterstützt sie ein Frauengefängnis, dem sie Besuche abstattet und wo sie einer weiteren Leidenschaft nachgeht: der Phrenologie. Damals war diese Wissenschaft modern und man dachte, dass der Schädel beziehungsweise die Schädelform Auskunft über den Charakter eines Menschen gibt.

Jedenfalls lernt Dorothea bei ihren Besuchen Ruth Butterham kennen. Ruth ist wegen Mordes im Gefängnis. Sie erzählt eine erstaunliche Geschichte, denn sie gibt an, all ihre Taten mit Nadel und Faden, allein mithilfe ihrer Nähkünste, begangen zu haben. Zuerst erscheint Dorothea diese Erklärung als wirres Zeug. Aber je tiefer sie in Ruths Geschichte vordringt, umso mehr Gänsehaut macht sich breit.

Der Roman wird in zwei Perspektiven erzählt, die sich an Dorothea und Ruth orientieren. Mit Dorothea ist man in der Gegenwart und nimmt an ihrem Leben und Überlegungen teil. Zwar leidet die Oberschicht weder an Hunger noch an Kälte, doch selbst eine junge Frau wie Dorothea hat im Alltag mit weniger angenehmen Pflichten zu kämpfen. Sie soll mit ihren 25 Jahren endlich verheiratet werden, was der freiheitsliebenden jungen Dame gar nicht schmeckt.

Ruth erzählt im Gefängnis ihre Geschichte. Sie beginnt in Kindheitstagen und wie sie an die Beschäftigung als Näherin kam. Schockierend sind nicht nur die Umstände, unter denen sie arbeitet, sondern auch, wie wenig Aussichten eine junge Frau in dieser Situation überhaupt hatte. 

Obwohl die Grundstimmung in Richtung Schauer-Erzählung beziehungsweise subtilen Psychothriller geht, zieht sich die Thematik des angeblich schwachen Geschlechts durch den gesamten Roman. Einerseits behandelt Purcell, wie junge Frauen ausgebeutet, regelrecht versklavt und rechtlos in schmutziger Armut leben. Gleichzeitig zeigt die Autorin, dass sogar Damen der Oberschicht nicht nach Lust und Laune frei entscheiden dürfen, selbst wenn die Entscheidungen gut begründet sind.

Spaß macht der Roman jedenfalls wegen der großartigen Schauerstimmung sowie der ergreifenden Handlung. Ruth erzählt von ihrem Lebensweg, der einem wie ein Stein im Magen liegt. Außerdem ist sie überzeugt, dass sie für den Tod mehrerer Menschen verantwortlich ist, weil sie über eine spezielle Gabe verfügt. 

Genau wie Dorothea tat ich Ruths Erzählung zuerst als Hirngespinst eines verwirrten Mädchens ab. Doch je tiefer wir in ihrer Geschichte voran kamen, umso schauriger, gruseliger, böser und brutaler wurde es.

All dies ist ergreifend und eindringlich erzählt. Ich war an die Seiten gefesselt und konnte es jedes Mal auf’s Neue kaum erwarten, Ruth wieder zu besuchen, obwohl man wusste, dass sie letztendlich im Gefängnis landen wird.

Besonders beeindruckt war ich, dass sich die Autorin für einen großartigen Schluss entschieden hat, welcher einiges an Mut erfordert. Denn es endet nicht auf die Weise, die man sich während des Showdowns wünscht. Außerdem gibt es eine fiese Überraschung, welche für großes Staunen sorgt. Beides hat mir exzellent gefallen!

Laura Purcell hat mich mit „Das Korsett“ endgültig überzeugt. Ich freue mich auf weitere Bücher der Autorin, die mich im viktorianischen Gewand in Schauerstimmung versetzen. Empfehlenswert!