Rezension

Rasanter Thriller mit ungeahnten Wendungen

Das Böse so vertraut
von Lisa Unger

Bewertet mit 5 Sternen

Unheimliches Déjà-vu

Dieser Psychothriller ist ein Paradebeispiel seines Genres. Bereits nach den ersten Seiten war ich absolut gefesselt und konnte mich nur mit Mühe von dieser hochspannenden Geschichte und ihren außergewöhnlichen Charakteren lösen. Das Böse so vertraut ist der dritte Roman in Lisa Ungers Thrillerreihe, in deren Fokus die toughe Ermittlerin Lydia Strong steht. New York ist Schauplatz dieser spannungsgeladenen Story, die dem Leser nur wenige Atempausen lässt, denn zu bizarr ist das Verbrechen und zu tief sind die menschlichen Abgründe, die sich dahinter auftun. Die Autorin versteht es meisterhaft, den Leser in ein undurchdringbares Netz aus Lügen, Verrat und Wahn zu ziehen, um ihn dann in diesem scheinbar ausweglosen Labyrinth sich selbst zu überlassen. Dieses dramatische Katz-und-Maus-Spiel hat Unger derart perfekt inszeniert, dass der Leser erst am Ende wieder aufatmen kann. Das ist ein Thriller ganz nach meinem Geschmack: Raffinierter Plot, glaubwürdige Charaktere und furiose Action bis zum überraschenden Ende.

Der Tod kehrt zurück

Als die renommierte und weltberühmte Malerin Julian Ross blutüberströmt und völlig verwirrt neben der Leiche ihres brutal erstochenen zweiten Ehemanns Richard Stratton III gefunden wird, traut Detective Halford „Ford“ McKirdy seinen Augen nicht: Vor zehn Jahren bot sich ihm exakt das gleiche Bild, als Julians erster Ehemann Tad Jenson auf die gleiche entsetzliche Weise getötet wurde. Julian, die einzige Tatverdächtige zum damaligen Zeitpunkt, beteuerte immer wieder ihre Unschuld und gab an, zur Tatzeit in ihrem Atelier am anderen Ende des Lofts mit lauter Musik auf dem Kopfhörer gearbeitet zu haben. Die Jury glaubte ihr schließlich, da sich niemand vorstellen konnte, wie die zierliche, introvertierte Künstlerin es geschafft haben sollte, ihren Mann zu überwältigen und mit einer solch enormen Kraft brutal zu erstechen. Doch für Ford McKirdy blieb sie stets tatverdächtig, auch wenn er ihr nichts nachweisen konnte. Der Fall kostete ihn so manche schlaflose Nacht und führte sogar zur Trennung von seiner Frau Rose, die ihn vom einen auf den anderen Tag verlies.

Die Dämonen einer introvertierten Künstlerin

Aber bei diesem zweiten Mord will McKirdy alles richtig machen und sich nicht wieder von einem augenscheinlichen Mangel an Beweisen abschrecken lassen. Er macht keinen Hehl daraus, dass er Julian für die Täterin hält und tut alles, um sie als krankhafte Mörderin zu entlarven. Doch er hat nicht mit Eleanor Ross, Julians Mutter, gerechnet, eine sehr vermögende Exzentrikerin, die die erfolgreiche Ermittlerin Lydia Strong engagiert, um die Unschuld ihrer Tochter zu beweisen. Der Auftrag kommt für Lydia allerdings zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt: Jed McIntyre, der Serienmörder, der damals ihre Mutter umbrachte, ist wieder auf freiem Fuß und sinnt auf Rache. Lydia wird unter Polizeischutz gestellt und kann keinen Schritt alleine tun – eine echte Strafe für die freiheitsliebende Draufgängerin, die zum ersten Mal ein Gefühl wie Angst empfindet. Gemeinsam mit dem Team ihrer Detektei Mark, Striker & Strong – ihrem Lebensgefährten Jeffrey Mark, ein ehemaliger FBI-Agent, und Dax Chicago, ihr australischer „Bulldozer“ und Mitarbeiter – und mit Detective Ford McKirdy, der ein Freund von Jeffrey ist, taucht sie ein in die befremdliche Welt der verschlossenen und völlig verschreckten Künstlerin, deren Bilder von dämonischen Fratzen, Gewalt und Grausamkeit beherrscht werden.

Ein vertrauter Täter?

Die Ermittlung gestaltet sich äußerst schwierig, denn Julian wurde nach einem Nervenzusammenbruch in die Psychiatrie eingeliefert und ist nicht mehr vernehmungsfähig. Auch die Spurensuche bringt Lydia und ihr Team nicht weiter. Wie auch beim ersten Mord besteht zwar ein leiser Verdacht, dass sich eventuell noch ein unbekannter Dritter in der Wohnung befunden haben könnte, doch es gibt keine brauchbaren Beweise. Das Einzige, was beide Morde gemeinsam haben, ist der Ringfinger samt Ehering, der beiden Opfern abgetrennt wurde. Lydia fühlt sich bei ihren Ermittlungen mehr und mehr in die Enge getrieben, denn der Mörder ihrer Mutter ist ihr dicht auf den Fersen. Doch dann stößt sie auf eine unglaubliche Spur: Der Ehemann von Eleanor Ross wurde auf die gleiche Weise wie Julians Ehemänner getötet, und auch Eleanor wurde damals aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Lydias Instinkt sagt ihr, dass bei allen Fällen anscheinend etwas Entscheidendes übersehen wurde, und so setzt sie alles daran, um den Täter aufzuspüren, der anscheinend untrennbar mit der Familie Ross verbunden ist…

Rasanter Thriller mit ungeahnten Wendungen

Das Böse so vertraut ist ein rasanter Thriller mit psychologischer Tiefe. Lisa Unger lässt uns in die Abgründe menschlicher Existenzen schauen – auch wenn man den Blick lieber abwenden möchte.  Ihre Protagonisten Strong, Mark, Chicago und McKirdy sind keine Superhelden, sondern kämpfen mit ihren ganz persönlichen Dämonen. Dies gibt ihnen eine Realitätsnähe, die der Geschichte Glaubwürdigkeit verleiht. Auch die Bad Guys, allen voran Jed McIntyre, sind Unger sehr gut gelungen: Sie zeichnet sie zum einen als unberechenbare Kreaturen ohne jegliche Empathie und menschliche Regung und zum anderen als Produkt einer gewalttätigen Umgebung, der sie nicht entrinnen können. Was Ungers Romane so besonders macht, ist ihr profundes psychologisches Wissen, das bei der Charakterisierung ihrer literarischen Figuren stets durchscheint und ihr Geschick, die Linie zwischen Gut und Böse oftmals verschwimmen zu lassen.