Rezension

penibel recherchiert und opulent erzählt

Zerrüttung -

Zerrüttung
von Gerhard Loibelsberger

Bewertet mit 5 Sternen

Anders als in den Vorgängern dieses Werkes rund um Joseph Maria Nechyba ermittelt der nunmehrige Ministerialrat nicht (mehr). Nechyba, dem wir bei seinen Ermittlungen in der Monarchie sowie im Ersten Weltkrieg über die Schulter schauen durften, ist nun pensioniert. Während sein Tagesablauf stets gleich bleibt, ändert sich seit einigen Jahren die Welt rundherum.

 

Seit dem Zerfall der Donaumonarchie 1918 taumelt die Erste Republik ein wenig. Die Armut nimmt überhand, die Politik schafft es nicht, den Menschen Zuversicht zu geben. Heimwehr und Republikanischer Schutzbund stehen einander unversöhnlich gegenüber, als nach dem Fehlurteil von Schattendorf 1927 der Justizpalast brennt. Die Wirtschaftskrise verschärft sich. Im Nachbarland Italien ist Diktator Benito Mussolini an der Macht und in Deutschland marschieren die Nazis. 1930 wird die Sozialistische Partei Österreichs stärkste Partei, den zersplitterten Konservativen droht die bisherige Macht zu entgleiten. Da nutzt Bundeskanzler Dollfuß die sogenannte „Geschäftsordnungskrise“, um das Parlament aufzulösen und autoritär zu regieren. Dass im Februar 1934 der Bürgerkrieg ausbricht und Österreicher auf Österreicher schießen, muss Nechyba genauso wenig erleben wie die Ermordung Dollfuß‘ und den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland.

 

Als diese interessanten politischen Ereignisse werden von Joesph Maria Nechyba in seinem Lieblingskaffeehaus kommentiert. Zwar wird er von Kellner Engelbert Nowak immer wieder daran erinnert, hier nicht zu politisieren, doch der Nechyba lässt nicht beirren. Betont hellsichtig kommentiert er die Ereignisse, von denen in den Zeitungen berichtet wird. So sagt er auf S. 50 „Das kann à la longue zu einem Bürgerkrieg führen“. Doch von Woche zu Woche wird die gewohnte Vielfalt der Presse weniger. Immer öfter enthalten sozialistische Blätter weiße Stellen, weil der eine oder andere Artikel der Zensur zum Opfer gefallen ist. Bald schon sind es nicht mehr nur einzelne Beträge, sondern ganze Zeitungen.

 

“... und plötzlich erschien ihm sein schmutziges Kaffeehäferl eine Allegorie der politischen Situation in Österreich zu sein. Über und über besudelt von schwarzbräunlichen Flecken und Schlieren.“

 

Meine Meinung:

 

Gewohnt gekonnt und brillant integriert Autor Gerhard Loibelsberger die politischen Ereignisse in diesen historischen Roman. Die verbindende Figur ist Joseph Marie Nechyba. Wie Perlen auf einer Perlenschnur reiht Gerhard Loibelsberger die Ereignisse auf. Die verbindende Schnur sind Nechybas und Nowaks Dialoge. Daneben dürfen zwei Vorfahren des Autors, nämlich Rudolf und Erich Loibelsberger eine Rolle spielen. Als Vorbotin für alle Denunzianten, Vernaderer und Blockwarte steht die ewig grantelnde und schimpfende Hausberogerinf

 

Gespenstisch ist die langsame Zerrüttung der Republik, die wie wir wissen, über den Ständestaat direkt in die NS-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg führen wird, dargestellt. Dazu bedient Loibelsberger zahlreicher historischer Quellen wie Briefe und Zeitungsberichte, deren Inhalte wörtlich zitiert werden. So ist der Leser in der Zeit um 1933 mitten drin. Dass hier manche Parallele zur aktuellen Gegenwart aufzutauchen scheint, macht nachdenklich.

 

„Gegen die Nazi sollte der Dollfuß kämpfen! Die sollte er bekriegen. Die sind die wahre Gefahr für Österreich und seine Demokratie. ln diesem verdammten Bürgerkrieg schlachtete Dollfuß das falsche Schwein.“ (Nechyba kurz vor seinem Ableben/S. 239)

 

Ja, die Angst vor den Linken hat viele Menschen auf die Rechten vergessen lassen. Und, wie die Menschen nach dem Bürgerkrieg 1934 leidvoll erfahren musste: Wenn sich zwei streiten (Heimwehr und Schutzbund) freut sich ein Dritter.

 

Fazit:

 

Ein hellsichtiger Joseph Maria Nechyba, der das Glück hat, die dunklen Zeiten nicht mehr erleben zu müssen. Gerne gebe ich diesem finalen Band der Nechyba-Reihe 5 Sterne und eine Leseempfehlung.