Rezension

Kodokushi...

Oben Erde, unten Himmel -

Oben Erde, unten Himmel
von Milena Michiko Flasar

Bewertet mit 5 Sternen

So viele Sorten von Einsamkeit - und doch kein trostloser Roman. Ernste Themen, leiser Humor, vielschichtige Deutungsebenen: Leseempfehlung!

Herr Ono ist unbemerkt verstorben. Allein. Es gibt viele wie ihn, immer mehr. Erst wenn es wärmer wird, rufen die Nachbarn die Polizei. Und dann Herrn Sakai mit dem Putztrupp, zu dem Suzu nun gehört. Sie sind spezialisiert auf solche Kodokushi-Fälle. »Fräulein Suzu«, wie der Chef sie nennt, fügt sich widerstrebend in die neuen Aufgaben. Es braucht dafür viel Geduld, Ehrfurcht und Sorgfalt, außerdem einen robusten Magen. Die Städte wachsen, zugleich entfernt man sich voneinander, und häufig verschwimmt die Grenze zwischen Desinteresse und Diskretion. Suzu lernt schnell. Und sie lernt schnell Menschen kennen. Tote wie Lebendige, mit ganz unterschiedlichen Daseinswegen. Sie sieht Fassaden bröckeln und ihre eigene porös werden. Und obwohl ihr Goldhamster sich neuerdings vor ihr versteckt, ist sie mit einem Mal viel weniger allein... (Klappentext)

Im Japanischen gibt es für den einsamen Tod ein eigenes Wort: Kodokushi. Menschen, die unbemerkt versterben und erst nach Wochen oder Monaten tot aufgefunden weden, gibt es bekanntermaßen auch hierzulande - ein Phänomen, das auf die wachsende Vereinsamung der Gesellschaft hinweist. Doch in Japan scheint Kodokushi noch viel weiter verbreitet zu sein - Einsamkeit inmitten wachsender Städte, ein einsamer Tod nach einem einsamen Leben...

Milena Michiko Flašar stellt die 25jährige Suzu als Ich-Erzählerin in den Mittelpunkt des Romans. Nach gescheitertem Studium jobt sie als Kellnerin, doch verliert sie dort bald wieder ihre Stelle. Arbeitslos, alleinstehend, mit Hamster - so das nüchterne Fazit ihres bisherigen Daseins. Die Annonce von Herrn Sakai stellt schließlich einen Wendepunkt in ihrem Leben dar. Suzu bewirbt sich auf die Stelle und geht von einem geläufigen Reinigungsunternehmen aus. Doch Herr Sakai führt einen Putztrupp der besonderen Art. Gereinigt werden Wohnungen von Kodokushi-Fällen... Als Leichenfundortreiniger werden von Suzu plötzlich ganz andere Qualitäten gefragt...

Liebenswert verschusselte Figuren bevölkern diesen Roman. Suzu ist eine davon, daneben ihr junger Kollege Takada, der zeitgleich mit ihr bei Herrn Sakai zu arbeiten beginnt, Mrs. Langfinger, auf die Suzu nun regelmäßig nach ihrer Arbeit stößt und die ihre ganz eigene Geschichte hat, u.v.m. Der Schreibstil ist lakonisch-spröde und passt dadurch sehr gut zur Charakterzeichnung Suzus. Durchsetzt ist die Erzählung mit einem leisen Humor, der den oftmals ernsten Themen auf angenehme Weise die Schwere nimmt.

Tatsächlich zieht sich das Thema Einsamkeit in den verschiedenstene Facetten durch den Roman. Viele in Suzus Umfeld (einschließlich Suzu selbst) leben isoliert, selbst das alte Ehepaar, das neben Suzu wohnt, ist in einer gemeinsamen Einsamkeit gefangen. Herr Sakai mit seiner Reinigungsfirma und seiner besonderen Gabe, den einsam Verstorbenen ihre Würde wiederzugeben, stellt sich auch für die Lebenden als Glücksgriff heraus. Für Suzu ist er ein väterlicher Mentor, der ihr immer wieder Anstöße gibt, die sie letztlich aus ihrer verkrusteten Einsamkeit herauslocken.

Mich hat der Roman überzeugen, berühren, verblüffen können. Gerade die vielschichtigen Deutungsebenen und damit die Tiefe bei vermeintlich leichter Oberfläche des Geschriebenen: genial! Eine gelungene Mischung von ernsten Themen, Gesellschaftskritik, leisem Humor, Einsamkeit in vielen Facetten und letztendlich doch der Weg zum Du - und all dies ohne Kitsch, Trivialität oder Klamauk. Ergänzt durch immer wieder eingestreute lebenskluge Sätze. Und ganz nebenher lernt man hier auch etwas über japanische Lebensarten, Gebräuche und Denkweisen, was mir ebenfalls gut gefallen hat.

So viele Sorten von Einsamkeit - und doch kein trostloser Roman. Für mich definitiv ein Jahreshighlight!

 

© Parden