Rezension

Hoppes Ausdruckstanz um das deutsche Kalb

Die Nibelungen -

Die Nibelungen
von Felicitas Hoppe

Hoppe hopst um die deutscheste Geschichte, mal ernst, mal kichernd, aber sie hat wohl als Einzige Spaß daran.

Felicitas Hoppe hat sich eines „unschlagbaren Stoffes“ angenommen, nämlich der Nibelungensage, die seit Jahrhunderten eng mit den Interpretationen der deutschen Kollektivseele verbunden wird. Das „Original“ – wiederholt von Hoppe als solches bezeichnet und in ihrer Geschichte apostrophiert – liegt in drei großen Handschriftenvariationen vor, ist um das Jahr 1200 entstanden und stellt eine höfische Komposition älterer Sagen und Geschichten dar. Das meisterliche am Nibelungenlied ist eben diese Kompositionsleistung, weil sie gleichzeitig Erzählmotivationen in einen Sagenstoff einführt, die bei den Vorlagen noch unnötig gewesen sind. Mithin gibt der Text meistens Antworten auf die Frage: Warum tut sie das? Warum macht er das?

Bemerkenswerterweise ist sich Hoppe dieser mittelalterlichen Erzählleistung bewusst, denn sie benutzt sie und zeigt dem Kenner des Stoffs und seiner Bearbeitung, dass sie „das Original“, dann Hebbels Bühnenbearbeitung und ein gutes Stück Sekundärliteratur dazu gelesen hat. Mir zum Beispiel ist klar, warum am Anfang so oft vom „Falken“ die Rede ist, was die „Eigenmannproblematik“ ist und was es mit Rüdigers von Pöchlarn („RvP“) Gutmenschentum auf sich hat. Hoppe weiß es auch.

Muss man es wissen, um das Buch zu verstehen?

Ja und nein.

Ja, weil man sonst die vielen Motive schlicht übersieht, die Hoppe in ihren germanischen Veitstanz einbaut. 

Nein, weil man das Buch sowieso nicht versteht.

Das Nibelungenlied kann sich nicht dagegen wehren, immer wieder missbraucht und etwa für ideologische Kampfansagen oder kollektivbiographische Völkertherapien benutzt zu werden. Da ist mir Hoppes lustvoller Tanz um das Thema alle mal lieber, zumal ihre Freude an schnellen Formulierungen, am flirrenden Durchknattern der Handlung eigentlich gut gefällt. Allerdings fehlen mir ständig Haltepunkte, mit denen ich den Text irgendwie fassen, verstehen oder zumindest nachvollziehen kann. Wenn durch das ganze Buch die Chiffre des „Schatzes“ mal den Schatz der Nibelungen aus der Geschichte, mal den immateriellen Sagenschatz und hin und wieder auch den Schatz als Liebsten verwendet wird, dann ist mir das der Vieldeutigkeit zuviel.

Im Zentrum von Hoppes Reigen steht eine Bühneninterpretation in Worms, die in Verbindung mit der Stummfilmunterschrift des Romans steht. Die Formulierungen haben meist etwas Deklamatorisches, sie fordern heraus, ihn laut zu lesen. Mit laut meine ich nicht nur ‚nicht still‘, sondern richtig laut. Wie passt das zum Stummfilmarrangement? Das wiederum spielt ständig mit dem Durchbrechen der Genregrenzen, indem die Lektüre bis zum Darstellerinterview führt, so dass die Grenzen zwischen Nibelungenlied, Bühnenhandlung, Stummfilmhandlung, Romanhandlung und schließlich der Lektüre wild durchbrochen werden. Das kann überfordern; mich zum Beispiel.

Irgendwann ist mir aufgefallen, wie sprunghaft das alles erzählt ist – eben tanzartig – und dass wahrscheinlich vor allem Felicitas Hoppe ihren kichernden Spaß an diesem Text gehabt hat.

Die Frage-Antwort-Konstruktion der hinteren Kapitel stören, weil sie eine neue Erzähltechnik einführen, die gar nicht zum Aufführungscharakter der ersten Hälfte passen, und alles in allem fügt dieser Roman meines Erachtens dem „unschlagbaren Stoff“ nichts Neues hinzu, außer vielleicht einem schillernden Fragezeichen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 20. September 2021 um 12:00

Wie klug von dir. Ich hab das alles nicht gewusst und fühle mich verarscht.

wandagreen kommentierte am 20. September 2021 um 13:33

Als Zeitungsartikel in der ZEIT als Aufführungsbesprechung - entspr gekürzt - hätte ich so was schon gewürdigt.