Rezension

Gelungen und überzeugend - spätestens am Ende

Amor-Trilogie 01. Delirium - Lauren Oliver

Amor-Trilogie 01. Delirium
von Lauren Oliver

Bewertet mit 4 Sternen

In einer Welt, in der Ordnung und Rationalität die obersten Prioritäten sind, in der Liebe als Krankheit und größte Gefahr der Menschheit angesehen wird, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt – wie sähe das Leben aus?

In einer Welt, in der Ordnung und Rationalität die obersten Prioritäten sind, in der Liebe als Krankheit und größte Gefahr der Menschheit angesehen wird, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt – wie sähe das Leben aus?

Lauren Oliver zeigt eben dieses in der Amor-Trilogie durch die Protagonistin Lena auf.

Lena ist überzeugt von der Gesellschaft, in der sie lebt, von der Gefahr der Amor Deliria Nervora und vom Nutzen des Heilmittels. Seit ihrer Kindheit an kann sie den Zeitpunkt ihres Eingriffes, der sie vor dieser Krankheit heilen wird, kaum erwarten. Dass sie nach dem Studium einen zugeteilten Mann heiraten und mit ihm eine zugeteilte Anzahl an Kindern bekommen wird, stört sie dabei nur etwas. Sie sucht die Sicherheit und Ruhe, die das Heilmittel und dieses System mit sich bringen. Denn schon in sehr jungem Alter hat sie die furchtbaren Konsequenzen der Krankheit erfahren, die sie in eine gesellschaftlich schwierige Position gebracht und persönlich tief gezeichnet haben.

Nur ihre Freundin Hana äußert leise Zweifel an dem, was Regierung und Bildungssystem ihnen vermitteln. Hana will rebellieren – will vor dem Eingriff leben, wie es ihr gefällt, will alle emotionalen Möglichkeiten ausschöpfen, so gut es geht. Lena ist davon zwar eingeschüchtert, aber lässt sich durch Hanas Regelbrüchen und Grenzüberschreitungen zu eigenen verleiten. Dabei triff sie Alex, der ihr eine Welt zeigt, die sie für nicht möglich gehalten hatte – eine Welt außerhalb der geschützten, umzäunten Städte, die es laut den offiziellen Bereichen gar nicht mehr gibt: die Welt der Ungeheilten, die Wildnis.

Plötzlich gerät Lenas gesamtes Welt- und Überzeugungsbild aus dem Gleichgewicht. Und sie muss sich entscheiden: zwischen dem Leben, das sie immer gewollte hat, und dem, das für sie nun bedeutsamer zu sein scheint.

Somit ist Delirium, der erste Teil der Romanreihe, geprägt durch die Kämpfe, die Lena hauptsächlich mit sich selbst ausmacht, die aber auch den Bezug zum Gesellschaftssystem, das nicht unproblematisch für sie ist, aufzeigen.

 

Dementsprechend empfand ich das Buch zum Anfang als sehr deprimierend. Die völlige Emotionslosigkeit der Erwachsenden und der Ausweglosigkeit der Heranwachsenden, sich ebenso in diese Zukunft zu begeben, erscheint mir durch Lenas Augen sehr überzeugend beschrieben. Und sie begrüßt das alles. Zugegebener Weise musste ich mich durch die ersten gut 100 bis 150 Seiten etwas zwingen. Doch eigentlich hätte ich erwarten müssen, dass die beschriebene Gesellschaft keine fröhliche ist – immerhin ist Liebe in dieser eine Krankheit.

Daher war mir Lena irgendwie unsympathisch. Später hat sich bei mir Mitleid für sie entwickelt, so dass ich mir wünschte, sie würde ein Happy End bekommen. Da es eine Trilogie ist, hatte ich dafür allerdings nicht allzu große Hoffnungen. Zwischen durch wollte ich sie auch anschreien, dass sie nicht so voller Selbstzweifel sein und sich mehr trauen solle. Ja, Lena ist eine Protagonistin, die als Kind schon Schlimmes durchmachen musste und sich nie wirklich davon erholt hat. Doch trotzdem (oder gerade deswegen) hat sie Ecken und Kanten. Am Ende wollte ich sie einfach nur weiter auf ihrer Entwicklung begleiten.

Inhaltlich ist das Buch spannend, obwohl nicht allzu viel zu passieren scheint. Jedoch werden die Auswirkungen einer gesellschaftlichen Gestaltung auf den Einzelnen aufgezeigt. Dabei werden auch die Bedeutung von unterschiedlichen Werten und Kulturkonflikte miteinbezogen. Auf diese Weise lassen sich Rückschlüsse auf eigene Gesellschaft ziehen, so wie es Dystopien eigen ist.

Den Schreibstil finde ich sehr passend zur Geschichte und zur Protagonistin. Allerdings musste ich mich erst mit ihm anfreunden und mich mit dem Präsens arrangieren (ich bevorzuge persönlich eher das Präteritum als Erzählform). Danach war er für mich recht flüssig und angenehm zu lesen. Zum Aufbau ist noch zu sagen, dass jedes Kapitel mit einem Zitate aus den offiziellen Schriften, Lieder oder anderem, das die Welt besser verstehen lässt, eingeleitet wird. Und ich muss sagen, das hat mir sehr gut gefallen und hat das Buch weiter bereichert.

Alles in allem ein sehr gelungener Auftakt, der Lust auf die weiteren Teile schafft und mich durchaus überzeugt hat. Zusätzlich – und das ist wohl der wichtigere Aspekt – erreicht das Buch ein Verständnis für Wertedifferenzen, wie schwierig es ist, sich in ein Leben mit anderen Vorstellungen und Einstellungen zu begeben und welche Werte für uns wirklich wichtig sein sollten.