Rezension

Faszinierender Jugendbuchthriller mit Laren und Lemuren

Das Haus am Abgrund - Susanne Gerdom

Das Haus am Abgrund
von Susanne Gerdom

Bewertet mit 5 Sternen

Inhaltsangabe: (Quelle: Klappentext)

Das Haus rief nach ihr...

Es war totenstill. Sie konnte das leise Rauschen der Wellen hören, das Wispern des Windes in den Ästen der Bäume. Sie war allein in dem riesigen, düsteren Haus. Die Halle, in der sie stand, war so prachtvoll wie schrecklich. Sie kannte dieses Haus so gut wie ihre eigene Hand und es war ihr gleichzeitig vollkommen fremd.

Novembertochter, flüsterte das Haus leise. Winterkind.
An deinem sechzehnten Geburtstag gehörst du endlich mir...

Meine Meinung:
„Das Haus am Abgrund“ von Suzanne Gerdom ist ein faszinierender Jugendbuchthriller, der durch seine mystischen Wesen aus der römischen Mythologie – den Laren und Lemuren – die Übergänge der realen Welt mit einer Fantasiewelt verschwimmen lässt und den Leser in seinen Bann zieht.
Der Schreibstil der Autorin ist locker und leicht verständlich. Unterstrichen und verbildlicht wird er durch die detaillierten Beschreibungen der Umgebung.  „Niedrige Häuser aus grauem Stein, die sich vor dem Wind zwischen grüne Hügel duckten, mit graugedeckten Dächern, sauberen weißen Sprossenfenstern, rot und grün lackierten Türen. Schmale, steile Straßen, das Schreien der Möwen und der Geruch des Atlantiks … alles so malerisch und so wunderschön und so zum Kotzen.“ S. 89
Die Erzählperspektive ist zunächst lediglich ein wenig verwirrend, da sie aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt wird. Zunächst haben wir einen personalen Erzähler, sprich die Sicht des Hauptprotagonisten Adrian in der Ich-Form. Hinzu kommt eine zweite personale Erzählform aus Sicht der Protagonistin November. Erschwerend hinzukommt, dass hierbei die Zeitformen von der Gegenwart bis hin zur Vergangenheit reichen und stets wechseln. Und zu guter Letzt  gibt es noch die Tagebucheinträge von Adrian und November, die zwischendurch eingefügt werden und im Präsens stehen.
Wie gesagt, diese Wechsel der Erzählperspektiven können zu leichten Verwirrungen führen, welche jedoch bewusst von der Autorin so gewählt wurden und die reale Welt mit den Halluzinationen des Protagonisten Adrians perfekt miteinander verschmelzen lässt. Doppelter Pluspunkt hierfür! Einfach genial! Aber keine Angst, die anfänglichen Verwirrungen sollten sich nach und nach, wie bei einem Puzzle zu einem schlüssigen Gesamtbild fügen.
Allein der Klappentext und der Innenklappentext jagen einem leichten Schauer über den Rücken und das Buch beginnt mit einer Art Prolog, dessen Wesenszüge sich durch die komplette Geschichte hindurch ziehen. Zu Beginn erfahren wir einen kleinen Rückblick über das Leben Adrians, dass seine Mutter ihn und seinen Vater verlassen hat und er nun mit zwei Vätern in dem kleinen Cottage am Hang neben dem gruseligen Haus wohnt. Das Haus, auf dem ein bösartiger Fluch lastet und die Dorfbewohner es fürchten. Auch begegnen wir direkt den unsichtbaren Charakteren, die Adrian stets begleiten – sprich den Laren, die guten Schutzgeister und den Lemuren, den bösen Geistern.
Auch die Personenbeschreibungen sind vielseitig gewählt und wirken durch ihre Stärken und Schwächen sehr authentisch. So haben wir den Hauptprotagonisten Adrian, der zu Beginn ein wenig seltsam rüberkommt, was jedoch daran liegt, dass er schwer krank ist. Er leidet an einem Hirntumor und seine Wahrnehmung verliert sich oftmals in Halluzinationen. Er fühlt sich unheimlich angezogen von dem alten Herrenhaus Heathcote Manor und auch von der schüchternen November. Zudem hat er ein Fabel für Augen, ja richtig, er ist total fasziniert von Augen aller Art und zeichnet diese gerne. „Augen faszinieren mich. Sie sind Ausläufer des Gehirns, und wenn man in ihre Pupillen blickt und sich darauf konzentriert, kann man tief hineinschauen und ein Gefühl davon bekommen, was drinnen vor sich geht. Die Welt spiegelt sich in jedem Auge, aber in seinem Zentrum steht das Ich und sonst gar nichts. Ein schwarzer, tiefer Tunnel, der in das innerste Wesen führt.“ S. 19
Adrians Vater, Toby, ist eher eine ruhige Persönlichkeit, er geht Konflikten gerne aus dem Weg und kann es gar nicht leiden, wenn er in Gedanken versunken ist und man ihn stört – er ist Schriftsteller. Adrian bewundert seinen Vater, dass er es schafft den ganzen Tag am Schreibtisch zu sitzen und Worte in die PC-Tastatur zu hauen. „Meine Gedanken verflüchtigen sich, sobald ich einen Blick auf sie werfe. Sie wollen sich nicht fangen lassen. Ich kann sie denken, aber wenn ich meine Finger bewege, um sie einzufangen, dann flitzen sie davon wie kleine silberne Fische.“ S. 113
Jonathan, der Lebensgefährte von Toby scheint das komplette Gegenteil von Toby zu sein, ein stark gebauter Mann, der auch einmal anpackt, aber in seinem inneren auch einen weichen Kern besitzt und sich liebevoll um Adrian kümmert, als wäre er sein eigener Sohn.
Zu Adrians Laren gehören der Roshi, der wie ein japanischer Lehrmeister immer einen guten Rat hat und mir total ans Herz gewachsen ist und Jenny, die scheinbar total verrückt und durchgeknallt ist und total auf Steampunk zu stehen scheint. Seine persönliche Nemesis hingegen ist der Joker, der das Erscheinungswesen wie der Joker aus Batman hat und zu den Lemuren zählt.
Ja und November wirkt eher schüchtern und geheimnisvoll. Sie ist verbunden mit dem sagenumworbenen Geheimnis des Herrenhauses Heathcote Manor und fühlt sich daher magisch von ihm angezogen. „Novembertochter, flüsterte das Haus. Winterkind. An deinem sechzehnten Geburtstag gehörst du endlich mir…“ S. 104
Der Titel „Das Haus am Abgrund“ spiegelt sich im Inhalt der Geschichte wieder und ist hervorragend gewählt. Auch die Covergestaltung, auf dieser ein düsteres Haus, dass an einer Felsenklippe im Mondschein steht, abgebildet ist und die leuchtenden Nachtfalter unterstreichen diese unheimliche schaurige Atmosphäre perfekt.
Hier nochmals eine kleine Zusammenfassung, worum es überhaupt geht:
Adrian ist schwer krank; er leidet an einem Hirntumor und seine Wahrnehmungsfähigkeit ist oft verzehrt, weshalb die Wirklichkeit mit seinen Halluzinationen zu verschmelzen scheint. Umgeben ist er oftmals von Laren und Lemuren, die einen sind im Freund, die anderen Feind. Er wohnt mit seinem Vater und dessen Lebensgefährten in dem kleinen Cottage in St. Irais, direkt neben dem sagenumworbenem düsterem Herrenhaus Heathcote Manor auf diesem ein bösartiger Flucht lastet und die Dorfbewohner es daher fürchten. Eines Tages begegnet er der geheimnisvollen November, diese auf mysteriöse Weise mit dem Haus verbunden ist. Er fühlt sich ebenso sonderbar zu diesem Mädchen hingezogen, wie auch zu dem Haus…

Fazit:
Ein faszinierender Jugendbuchthriller dessen Wirklichkeit mit einer Fantasiewelt aus Laren und Lemuren verschmilzt und den Leser magisch in seinen Bann zieht und mit einer Gänsehaut zurück lässt. Einfach grandios und mit bestem Gewissen zu empfehlen!