Rezension

Eine ungewöhnliche, düstere, aber auch sehr faszinierende Geschichte

Solange die Nachtigall singt - Antonia Michaelis

Solange die Nachtigall singt
von Antonia Michaelis

Bewertet mit 5 Sternen

Der 18 Jährige Jari hat gerade seine Tischlerlehre in der Werkstatt seines Vaters beendet und beschließt auf eine dreiwöchige Wanderschaft zu gehen. Er möchte ein bisschen die Freiheit und die Natur genießen, bevor er in das harte Arbeitsleben einsteigt. In einer kleinen Dorfgalerie am Fuße des Zittauer Gebirges begegnet er der geheimnisvollen Jascha. Im ersten Moment noch abstoßend und hässlich, verwandelt sie sich nachdem sie ihre Verkleidung abgelegt hat, in das bezauberndste und schönste Mädchen, das ihm je begegnet ist. Jascha nimmt ihn mit zu ihrem Haus, das tief im Nebelwald und jenseits einer gefährlichen Klamm liegt. Einem Wald, in dem schon viele Menschen verschwunden sind.
Sehr habe ich mich auf das neue Buch von Antonia Michaelis gefreut. Und die Vorfreude war auch nicht umsonst. Schon allein die Gestaltung des wunderschönen Covers lässt eine düstere und geheimnisvolle Geschichte vermuten und meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Es passt perfekt zur Geschichte und ist zudem wunderschön.

"Etwas war geschehen."

So lautet der erste Satz des Buches, mit dem eine Geschichte voller Geheimnisse und einem großen Verwirrspiel beginnt.
Der Einstieg in die Geschichte gestaltet sich sehr behutsam und ruhig. Langsam und auf sehr poetische Weise lernt der Leser Jari, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, kennen. Jari, der der geheimnisvollen Jascha begegnet und ihr in das Haus im Wald folgt. Einem Haus voller Schönheit und dunkler Geheimnisse, umgeben von einem genauso dunklen und geheimnisvollen Wald. Doch schon sehr bald ändert Jari seine Pläne bezüglich der Wanderschaft und beschließt, bei Jascha zu bleiben. Jascha, mit der etwas nicht zu stimmen scheint. Mal hat sie Narben am Körper, dann sind sie wieder weg. Mal taucht sie an mehreren Orten gleichzeitig auf. Nur nach und nach findet er heraus, was es ist und, dass Jascha nicht alleine im Haus lebt.
In der Geschichte tauchen immer wieder Abschnitte, die in Kursiv geschrieben wurden auf, die die Geschichte um drei kleine Mädchen erzählt. In ihnen erfährt der Leser von grausamen Geschehnissen, die den Mädchen in der Vergangenheit widerfahren sind. Geschickt führt die Autorin beide Handlungsstränge zusammen.
Jari hat mir zu Beginn sehr gut gefallen. Er ist ruhig, lebenslustig und unbefangen. Jedoch verwandelt, bzw. entwickelt er sich im Laufe der Geschichte auf erschreckende Art und Weise. Er verliert jegliches Zeitgefühl und den Bezug zur Realität und seine Wahrnehmungen verschwimmen mehr und mehr. Was ist Wirklichkeit und was nicht? Aus dem einst sanften und stillen Tischlergesellen, ist ein gnadenloser und brutaler Jäger geworden. Und das auf so erschreckende Art, dass es den Leser fassungslos zurücklässt.

Antonia Michaelis hat eine wunderbare Art zu schreiben. Ihr Schreibstil ist wunderschön und er ist etwas ganz Besonderes. Sehr poetisch, emotional und geheimnisvoll. Kurz gesagt, einfach atemberaubend. Gekonnt schafft sie es den Leser auf falsche Fährten zu locken. Was ist Realität, was Fiktion? Durch Worte schafft sie es auf unglaubliche Art eine Atmosphäre zu erschaffen, die einerseits unbeschreiblich poetisch, ja fast märchenhaft ist. Auf der anderen Seite ist sie hingegen wieder brutal, grausam und sehr verwirrend.

"Solange die Nachtigall singt" ist ein wunderbares Buch für junge Erwachsene. Es ist eine ungewöhnliche, düstere, aber auch sehr faszinierende Geschichte, die einen lange nicht mehr loslässt. Ein Muss für alle Fans von Antonia Michaelis...