Rezension

Eine digitale Dystopie

Der Zwillingscode -

Der Zwillingscode
von Margit Ruile

Inhalt:

Vincent lebt in einer Gesellschaft, die einem Soziallabor gleicht. Durch Einführung eines Social-Credit-Systems gelang es, alle Bürger wechselseitig transparent zu machen. Es stellt ein Mittel der totalen Kontrolle der Bevölkerung durch die Vergabe von „Punkten“ für wünschenswertes Verhalten, bzw. deren Entzug für negatives Verhalten, dar.

Aufgrund seines niedrigen Sozialpunktestandes muss sich Vincent etwas einfallen lassen. Für das Recht zum Schulbesuch reichen die Punkte nicht aus, überdies ist der Junge notorisch klamm. In seiner Wohnung bietet Vincent daher einen illegalen Reparaturdienst für mechanische Haustiere an.

Als eines Tages eine alte Frau vor seiner Tür steht und ihm ihre Katze entgegenhält, denkt sich Vincent also nicht viel dabei. Doch bald stellt sich heraus, dass das Tier nicht wie erwartet vom Monopolisten Copypet, sondern in einem kleinen Laden in der Sophienstraße verkauft wurde. Alles wird noch verworrener, als die Auftraggeberin ihm einen ungewöhnlich hohen Lohn verspricht, was aber auch ihrem Anliegen geschuldet ist. Vincent soll der Katze die Krallen ziehen, die sie eigentlich gar nicht haben dürfte. Eigentlich sollten die mechanischen Haustiere friedliche Begleiter der Menschen sein.

Kaum ist die alte Dame aus dem Haus, macht sich Vincent an die Recherche. Als erstes besucht er den kleinen Laden in der Sophienstraße. Nach und nach kommt er einem Geheimnis auf die Spur, das eng mit seiner eigenen Vergangenheit und dem Verschwinden seiner Mutter verbunden ist.

 

Meinung:

Margit Ruile zeigt in ihrem Buch „Der Zwillingscode“ auf, wie künstliche Intelligenz unser Leben verändern kann. Das Social Credit System ist eine Art übergreifendes, perverses Schufa-Programm für alle Bürger, das zu einem digitalen Kastensystem geführt hat.

Der Protagonist Vincent hat es mit Doppel D in der Gesellschaft nicht leicht. Bei einem Verkehrsunfall beispielsweise ist die Chance, dass er in einen Unfall verwickelt wird, gar nicht so gering. Ein selbständig fahrendes Auto würde im Extremfall eher einem Menschen mit Status A ausweichen und als Kollisionsziel z.B. eine Person mit Status D wählen.

Auch werden Menschen mit einem schlechteren Sozialkonto ghettoisiert. So beschäftigt Vincent neben der Sorge um einen vernünftigen Schulabschluss auch die Sorge, ob er seine Wohnung behalten kann.

Mit dem Auftritt einer ungewöhnlichen Auftraggeberin verändert sich Vincents Leben von einem Tag auf den anderen. Er kommt einem Geheimnis auf die Spur, dass ihn dazu bringt, die Welt, wie er sie bisher kannte, zu hinterfragen. Immer wieder stößt er auf Situationen, die ihn verwirren. So zeigt ihm die alte Dame z.B. den Nachbau eines Sonnensystems und fordert ihn auf, sich die Konstellation zu merken. Der Verkäufer in der Sophienstraße kommt Vincent irgendwie sehr bekannt vor und immer wieder stößt Vincent auf Hinweise, die mit seiner verstorbenen Mutter in Verbindung stehen.

Im weiteren Verlauf der Geschichte findet Vincent Zugang zu einer gefährlichen Parallelwelt. Hier entwickelt sich eine thrillerhafte Spannung, die das ganze Buch über andauert. All dies ist aber lediglich der Zündstoff der eigentlichen Erzählung über eine dystopische Gesellschaft und ihre Strukturen.

 

Fazit:

Fallen die Begriffe künstliche Intelligenz und datenbasierte Systeme, dann kommt sehr schnell "Dystopie“ als dritter dazu. Und hier ist „Der Zwillingscode“ auch angesiedelt.
Margit Ruile zeigt vielen Genre-Vertretern, wie man eine Dystopie packend und mitreißend erzählen kann.

Gemeinsam mit Vincent erkundet der Leser eine Welt, in der künstlichen Intelligenz den Ton angibt.

Nach der Einführung eines Social Credit Systems hängt der Zugang zu Schulen, Jobs und vielen weiteren Lebenschancen von der Big-Data-Bewertung ab. Das Buch ist damit die ultimative digitale Dystopie.

Das Werk berichtet mit großer Konsequenz und einer bemerkenswerten Wucht, über die uns die Konsequenzen dieser bedauerlicherweise nicht mehr allzu fiktiven Welt präsentiert werden. Schließlich will auch Chinas Regierung die eigenen Bürger künftig mit einem Social-Credit-System bewerten.

Eine Leseempfehlung aber auch für jeden, der sich dem Sog geschickt aufgebauter Spannung hingeben will.