Rezension

Ein toller historischer Roman aus einer ungewöhnlichen Perspektive

Der Winterpalast - Eva Stachniak

Der Winterpalast
von Eva Stachniak

Auch wenn der Winter schon fast vorbei ist, konnte ich an dem Roman „Der Winterpalast“ von Eva Stachniak, erschienen im Insel Verlag, neulich in der Buchhandlung nicht vorbeigehen. Das Cover hat mich so angesprochen und ist so schön, dass ich das Buch einfach in die Hand nehmen musste.

Und da sich dahinter ein spannender historischer Roman über den Werdegang Katharinas der Großen verbergen sollte, war ich umso gespannter auf die Geschichte.

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich über die russische Geschichte vor der Sowjetunion, über das Zarenreich und die Herrschaft der Romanows nur wenig weiß. Natürlich ist mir Katharina die Große, die sich an die Macht putschte und wohl die mächtigste Frau ihrer Zeit war, ein Begriff, aber über ihren Werdegang, ihre frühen Jahre war mir gar nichts bekannt.

Der Roman „Der Winterpalast“ ist aus der Sicht der jungen Warwara Nikolajewna geschrieben. Zunächst einmal eine ungewöhnliche Perspektive, denn Warwara ist ein Niemand. Eine Waise, die an den Hof der Kaiserin Elisabeth kommt, nachdem ihre Eltern verstorben sind und dort als Dienerin arbeitet. Doch Warwara ist intelligent und das fällt auch anderen Menschen auf. Zum Beispiel dem gerissenen Kanzler Bestuschew, der am Hof seine intriganten Machtspiele auslebt. Und dafür braucht er eine Spionin, eine Seherin, eine Zunge: Warwara.

Schnell steigt das unscheinbare Dienstmädchen von einst zu einer der wichtigsten Informantinnen der Kaiserin auf. Und das, obwohl es nun eine Kunst ist, unsichtbar zu bleiben.
So bekommt Warwara mit, wie die junge deutsche Prinzessin Sophie von Anhalt- Zerbst als Fünfzehnjährige an den russischen Zarenhof kommt, um mit Elisabeths Neffen Peter, dem Thronfolger verheiratet zu werden. Doch Sophie, später Katharina, hat nicht nur Freunde am Hof – im Gegenteil: Immer mehr Menschen wünschen sich, dass sie niemals aufgetaucht wäre.

Warwara soll Katharina bespitzeln, Fehler finden, Unachtsamkeiten gnadenlos aufdecken. Doch die beiden werden Freundinnen, in dem durchtriebenen Spiel, das am Hof gespielt wird, in dem keiner dem anderen wohlgesonnen ist und niemand einem anderen vertraut, entwickelt sich zwischen den beiden Mädchen eine ganz besondere Freundschaft.

Als die Kaiserin einige Jahre später stirbt, Peter den Thron besteigt und Katharina entmachten und verbannen will, hat ihre Stunde geschlagen: Gemeinsam mit einigen Verbündeten wagen sie den Staatsstreich, der Katharina im Mächtegefüge der damaligen Welt an die Spitze bringt: Den russischen Zarenthron. Später wird ihr dafür einmal der Beiname „Die Große“ verliehen.

Doch Warwara muss auf ihrem Werdegang irgendwann erkennen, dass Vertrauen zwar gut ist, aber man an diesem russischen Zarenhof sehr sparsam damit umgehen sollte. Und es stellt sich die Frage, wie viel die Freundschaft zu einer Kaiserin in dieser Zeit wert sein kann.

Der Roman hat mich wirklich begeistert. Soweit ich das nachlesen konnte, sind alle historischen Fakten, die Katharina betreffen, der Wahrheit entsprechend. Zum Teil wurden sogar Teile aus ihren echten Briefen in die Geschichte eingearbeitet. Die Perspektive der jungen Warwara ist dazu wirklich brillant gewählt, da wohl sonst niemand, der in dem Personengefüge vorkommt, solch einen Überblick über das gesamte Geschehen hatte. Da Warwara eigentlich für alle Seiten spioniert hat, konnte so auch der Leser alle Seiten der Geschichte betrachten. Und dadurch, dass Warwara, wie am Ende klar wird, die Geschichte erst nach einiger Zeit „aufgeschrieben“ hat, sind gerade die Teile, in denen sie einigen Personen zu sehr vertraut oder misstraut hat, durch selbstkritische Prolepsen gekennzeichnet, die dem Leser das Gefühl geben, es mit einer wirklichen Autobiografie zu tun haben.

Eva Stachiak beweist, dass sie einen sehr flüssigen Sprachstil hat. Durch die vielen russischen Namen, die teilweise recht gleich klangen, war es für mich jedoch stellenweise schwierig, den Überblick zu behalten und nicht nur die Personen auseinanderzuhalten, sondern sich auch noch zu merken, wer welche Interessen verfolgt. „Der Winterpalast“ ist also eher kein Buch für zwischendurch, sondern eines, dass man zu großen Teilen am Stück lesen sollte, da man sonst leicht den Faden verliert. Besonders fasziniert hat mich aber die genaue Beschreibung des Alltags und der Denkweise der Menschen, der Aberglaube, die Gepflogenheiten am Hof, alles wirkte real und unkonstruiert.

Ein eindrucksvoller historischer Roman über eine schillernde und faszinierende Figur der Geschichte, die aber auch durchaus kritisch beurteilt wird, ebenso wie die politischen und militärischen Aktivitäten Preußens und Russlands zu dieser Zeit.