Rezension

Ein Roman, der unter die Haut geht

Missbrauchte Seelen - Stephan Leenen

Missbrauchte Seelen
von Stephan Leenen

Bewertet mit 5 Sternen

„...Die Weißen stützten sich allein auf die Macht ihrer Waffen, ihrer Konzerne und des Geldes, mit dem sie das Land der Afrikaner, deren Kultur und Geist auffraßen...“

 

Das Buch beginnt heftig. Ein Kind namens Felice wird entführt. Es hat Todesangst.

Nach einer längeren Auszeit kehrt Hauptkommissar Ralf Ziether in das Polizeirevier von Berlin-Mitte zurück. Dort hat Oberstaatsanwalt Niemann den Hauptkommissar sowie Hauptkommissarin Britt Bredehorst zu sich bestellt. Sie sollen eigene Ermittlungen führen, von denen außer ihnen niemand weiß. Es geht um einen schwunghaften Mädchen- und Kinderhandel. In der Polizei wird ein Maulwurf vermutet, der die Täter rechtzeitig vor Razzien warnt. Nachdem schon im vergangenen Jahr ein totes rumänisches Mädchen gefunden wurde, wird kurz vor dem Einsetzen dieser kleinen Sonderkommission ein totes Mädchen aus der Spree gezogen. Ralf fällt auf, dass sich die Bilder der Mädchen gleichen.

Jay Jay ist Schwarzafrikaner und Teilnehmer der Jahresversammlung des Weltverbandes des Sportes. Er hat Simon beauftragt, ihm ein weißes deutsches Mädchen zu bringen.

Der Autor hat einen fesselnden und vielschichtigen Kriminalroman geschrieben. Obige Sätze fassen die ersten Szenen zusammen. Das Buch lässt sich zügig lesen. Das liegt daran, dass die Kapitel in kurze Unterabschiede gegliedert sind, die zu einem schnellen Wechsel von Handlungsort und Personen führen. Zwischen den Abschnitten befindet sich eine stilisierte Pistole.

Britt und Ralf glauben, den Täter zu kennen. Doch Simon Sandowsky hat es bisher bei jeder Verhaftung geschafft, die Beweise zu widerlegen.

Der Schriftstil des Buches ist ausgefeilt und vielschichtig. Das Besondere dabei ist, dass wie nebenbei ein Stück deutscher Kolonialgeschichte erzählt wird. Jay Jay ist Schwarzafrikaner. Seine Vorfahren stammen aus dem Volk der Herero. In seinen Träumen hat er Begegnung mit den Ahnen. Ihr Leben läuft in Bildern an ihm vorbei. Doch ihnen wurden die Wurzeln gekappt, in dem man ihnen die Ahnenstäbe weggenommen hat. Dieser Teil der Geschichte ist kursiv gedruckt. Er erzählt von Hilfe und Rettung, aber auch von Brutalität und Unterdrückung. Jay Jay ist nun auf der Spur der Nachfahren der damaligen Täter. Gleichzeitig erfahre ich als Leser durch Jay Jay und sein Handeln einiges über Korruption bei der Vergabe sportlicher Großereignisse. Es liest sich wie ein Kuhhandel. Obiges Zitat stammt von ihm.

Die Ermittlungen über die toten Kinder bringen die Kriminalisten an die Grenze ihrer psychischen Belastung. Aus Rumänien gibt es ein Amtshilfeersuchen. Es betrifft Felice. Gut herausgearbeitet werden die Emotionen von Ralf und Britt. Trauer und Wut begleiten ihre Arbeit. Ihre tiefe innere Erschütterung ist in jedem Kapitel spürbar. Im Gegensatz zu den beiden erfahre ich als Leser relativ früh, wer wie und warum dafür sorgt, dass genügend Kinder nach Deutschland kommen können. Es geht, wie meist, um Geld. Die Zustände, die dabei geschildert werden, sind für ein humanes Europa unwürdig. Die Geschichte kann einem als Leser nicht kalt lassen. Als Ralf und Britt immer tiefer in das Wespennest aus Geldgier und Machtmissbrauch stoßen, ist ihr eigenes Leben in Gefahr. Der Spannungsbogen erhöht sich gegen Ende nochmals extrem. Überraschende Wendungen und das Einspielen bitterer persönlicher Erfahrungen der Kriminalisten geben der Geschichte zusätzliche Impulse.

Das dunkle Cover mit der roten Schrift, bei dem im Hintergrund nur wenig zu erkennen ist, passt zu der Verschleierung und dem Leben im Dunkelheit des Verbrechens, dass sich durch den Roman zieht.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Allerdings würde ich mir für die nächsten Bände eine etwas größerer Schrift wünschen. Das nimmt der Erzählung aber nichts von seiner Faszination aus historischen Fakten und den dunklen Seiten unserer gegenwärtigen Welt. Das Buch bleibt in Erinnerung, allein deshalb, weil es zeigt, wozu Menschen fähig sind, sei es im Guten oder im Bösen. Kinderhandel und Kindesmissbrauch gehören endlich unterbunden und rigoros bestraft.