Rezension

Düster aber faszinierend

Darkiss - Herrscher der Gezeiten - Nichola Reilly

Darkiss - Herrscher der Gezeiten
von Nichola Reilly

Bewertet mit 4.5 Sternen

Das Leben der Bewohner Tides richtet sich vollständig nach dem Wasser. Bei jeder Flut sammeln sich die knapp 500 Bewohner des Dorfes auf einer runden Plattform – neben dem Turm des Königspalastes der einzige Ort, der Schutz vor den Fluten und den darin lebenden Ungeheuern bietet. Doch der Platz ist begrenzt, das Wasser drängt immer dichter und der Neid auf die mittleren Plätze ist groß.
Die Kinder bekommen die besten Plätze, sodass die 15-jährige Coe bisher noch relativ sicher ist. Doch das Schicksal hat das Mädchen schwer gezeichnet und stellt ihr keine besonders positive Zukunft in Aussicht. Als dann der Zustand des Herrschers zusehends schlechter wird, bricht das Chaos aus und Coe und ihr Schwarm Tiam geraten mitten in den Konflikt.

 

Nichola Reilly erschafft ein ungewöhnliches Szenario, dessen Schrecken sich erst nach und nach offenbaren. Die Umstände, unter denen die Menschen leben, sind kaum vorstellbar, umso faszinierender sind diese Lebensbedingungen aber auch. In regelmäßigen Abständen werden alle Gebäude überflutet, die einzig halbwegs trockenen Gegenstände tragen die Bewohner in Taschen bei sich. An Technik und Schule ist nicht zu denken, auch Zuneigung und Liebe kennen die Menschen nicht. Für die Bewohner gilt es nur, Tag für Tag sowohl den Hunger als auch die Gezeiten zu überleben.

Coe ist die Ich-Erzählerin der Geschichte, was einen eingeschränkten Blick auf die Handlung mit sich zieht, aber tiefe Einblicke in die Gedanken des Mädchens ermöglicht. Da Coe aus Erzählungen ihres Vaters und Büchern relativ viel weiß, erfährt man als Leser durch sie einiges über die Geschichte ihrer Insel und der Königsfamilie, wobei Coe selbst noch gar nicht ahnt, was der Herrscher alles verbirgt.

Sie ist ein spannender Charakter, ein mutiges Mädchen, dass trotz seiner Einschränkungen nicht aufgibt. Im Gegensatz zu ihren Mitmenschen, lässt sie Gefühle zu, obwohl dies als Schwäche ausgelegt wird – gleichzeitig verleiht es ihr die Kraft, eigentlich Unmögliches zu vollbringen.

Coe hat eine angenehme Erzählweise. Sie beobachtet ihre Umwelt sehr genau, was bildhafte Beschreibungen zur Folge hat. Der Schreibstil ist flüssig und leicht zu lesen. Für Aufheiterung sorgt, dass viele Begriffe, die für uns alltäglich sind, bei den Bewohnern in Vergessenheit geraten sind. Und so muss Coe, wenn sie den anderen Kindern Geschichten erzählt, auch schon mal das ein oder andere Wort erklären, was ihr selbst nur aus Erzählungen geläufig ist, sodass ein Huhn auch schon mal dem Vergleich mit einer Seemöwe standhalten muss.

Die Geschichte ist, schon allein aufgrund der tragischen Lebensverhältnisse, von Beginn an sehr interessant, auch wenn mir lange nicht klar war, in welche Richtung sich die Handlung entwickeln wird. Relativ ausführlich bekommt man zunächst einen Einblick in Coes tägliche Routine, bevor sich ihr Leben schlagartig ändert und der Geschichte eine ganz neue Richtung gibt. Viele Entwicklungen kommen unerwartet und sorgen für zusätzliche Spannung, wobei ich mit der Auflösung des Endes noch ein wenig hadere und gespannt bin, wie sich all die offenen Fragen und Handlungsstränge im nächsten Band entwickeln werden.

 

Coe ist eine sympathische Protagonistin in einer erschreckenden Welt. Sie schlägt sich tapfer durch die Handlung, muss aber immer neuen Widerständen entgegentreten und ungewöhnliche Entdeckungen machen. Dies sorgt für eine abwechslungsreiche Handlung, die spannende Lesestunden bringt. Das Ende ist allerdings sehr offen und lässt den Leser mit vielen Fragen und Erwartungen zurück.