Rezension

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"Die Welt fühlt sich an wie ein Stoppelbart" - ein Gefühl, eine Geschichte, ein Ist-Zustand in einem Satz zusammengefasst!

Ich werde fliegen - Dana Czapnik

Ich werde fliegen
von Dana Czapnik

Lucy Adler betrachtet die Welt mit den Augen einer 17-Jährigen, die nirgendwo so richtig dazu zu gehören scheint: Ein wenig naiv, ein wenig skeptisch, ein wenig selbstzweiflersich, ein wenig verliebt, aber doch auch schon ein wenig erwachsen. Der Roman ist nicht das, was er auf die ersten Worte zu sein scheint und was der Klappentext andeutet - er ist mehr!

Wenn es im Klappentext heißt "Lucy liebt Percy seit einer gefühlten Ewigkeit – und umso mehr schmerzt es sie, dass er zwar alle Gedanken mit ihr teilt, aber stets eine oberflächliche Schulschönheit als Freundin wählt. Wie kann sie ihren Weg in sein Herz finden?", während sie in ihrer Schule eine Außenseiterin ist, wo nur die Mädchen angesehen sind, "die mit dem Strom schwimmen, immer perfekt aussehen und am Spielfeldrand die Jungs anfeuern" - dann verkauft der Verlag einen Liebesroman, den es so aber nicht gibt. Ja, Lucy ist in Percy verliebt. Und ja, viele ihrer Gedanken drehen sich um ihn, darum was es heißt, ein heranwachsendes Mädchen sein, das im direkten Vergleich mit ihren Mitschülerinnen und Percys Freundinnen jedoch in jeder Hinsicht anders ist und die sich deswegen auch immer wieder mit ihnen vergleicht. Doch damit wird der Klappentext dem Roman insgesamt nicht gerecht! Denn er erzählt weit mehr als nur eine einfache, ja geradezu typische Liebesgeschichte. Denn was Lucy nicht ist, ist ein Mädchen, dass nur und permanent für einen Jungen schwärmt und sich nicht mit den beliebten Mädchen der Schule versteht, am Ende noch von ihnen schikaniert wird, oder das sich plötzlich in der Situation wiederfindet, zwischen dem Jungen, den sie liebt, und dem, der sie versteht, hin und her gerissen zu sein - so, wie in letzter Zeit viele Mädchen und junge Frauen in Jugendromanen dargestellt werden oder ganz generell dieses Genre gestrickt ist. Ganz im Gegenteil: Ich werde fliegen ist ein klassischer Adoleszenzroman, der den Spuren eines J.D. Salingers und seines Fänger im Roggen folgt. Denn Lucy Adler ist tough, ein Sport- bzw. Basketball-Ass, eine starke junge Frau, die ihrer Leidenschaft folgt, koste es, was es wolle, auch zu dem Preis, dass es sie zur Außenseiterin macht. Das den Jungen und Männern auf dem Sportplatz keinen Zoll schenkt und auch keine Sonderbehandlung fordert, sondern stattdessen einfach nur Gleichberechtigung. Das die feinen Unterschiede der Geschlechter und die Bedeutung dessen, was es heißt, eine Frau und kein Mann zu sein, (allmählich) wahrnimmt und sich deswegen fragt, wie weit sie sich verbiegen müsste, nur um dazu zu gehören - und ob sie das überhaupt will. Dabei erlebt und durchstreift sie ihre Heimatstadt New York wie ein Holden Caulfield oder eine Doris (der deutschen Autorin Irmgard Keun in Das kunstseidene Mädchen) ihr Berlin und erweckt dabei durchweg das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein, in dem dem Einzelnen keine größere Bedeutung zukommt, sondern sich tragen lässt, allein ist bzw. allein Entscheidungen treffen muss, während er faktisch nie allein ist und ständigen Einflüssen ausgesetzt ist. Dabei schraubt die Autorin Dana Czapnik die tatsächliche Handlung drastisch zurück. Es gibt keine großen Enthüllungen, Dramen oder Wendungen. Lucy betrachtet sich als Beobachterin, sie ist eine "Augenzeugin" ihrer Zeit, eine Kamera, die einen (entscheidenden) Augenblick ihres Lebens einfängt  und der Leser folgt diesem Blick, steckt mitten in ihrem Kopf und hinterfragt mit ihr zusammen das ganze Leben, die Gesellschaft, ihre Freunde und Lucy selbst. Und das auf eine sehr verständliche, nachvollziehbare Art und Weise. Es wird nie zu philosophisch, nie zu abstrakt, als dass man als junger Mensch der Protagonistin nicht mehr folgen könnte, und doch genug, damit man die entscheidenden Fragen auch sich selbst stellt und Gegebenes hinterfragt.

Für mich ist Ich werde fliegen ein Lesehighlight gewesen und ein Roman, den ich allen (jungen) Frauen (aber auch Männern, für einen Blick über den Tellerrand hinaus) nur sehr ans Herz legen kann. Denn Gleichberechtigung ist immer noch ein Soll-Wunsch und kein Ist-Zustand und meiner Meinung nach ist der Roman bestens geeignet, dafür zu sensibilisieren.