Rezension

Die Weißen können schlafen, die Schwarzen müssen rennen

Der Schlafwagendiener -

Der Schlafwagendiener
von Suzette Mayr

Bewertet mit 4 Sternen

Suzette Mayr, eine kanadische Autorin mit deutschen und afro-karibischen Wurzeln, greift im vorliegenden Roman ein in Vergessenheit geratenes Themenfeld auf. Sie setzt den Schwarzen Schlafwagendiener Baxter, der für den Großteil des Romans einen Zug von Montreal nach Vancouver im Jahre 1929 betreut, ins Zentrum ihrer Geschichte. Dieser muss nicht nur mit dem Rassismus der Passagiere und Vorgesetzten klarkommen, sondern auch seine Homosexualität verheimlichen, die ihn damals mindestens ins Gefängnis gebracht hätte. Wir folgen nun diesem Zug auf seiner vier Tage (plus) Tour quer durch Kanada und erleben auf eindrückliche Weise, wie menschenunwürdig Baxter und seine anderen Schlafwagendienerkollegen behandelt werden.

Mit Baxter hat die Autorin eine äußerst interessante Figur geschaffen. Er arbeitet schon seit vielen Jahren als Schlafwagenfahrer, das alles aber nur, um sich die Fortführung seines Zahnmedizinstudiums leisten zu können. Neben seinem Faible für Zahnstellungen und dentalen Erkrankungen ist er außerdem ein großer Science-Fiction-Fan und steckt stets die Nase in ein entsprechendes Buch. Aber diese beiden Eigenarten stellen natürlich keine Gefahr für ihn dar. Im Gegensatz dazu existiert jedoch eine ständige Bedrohung durch den massiven Rassismus und die Homophobie der damaligen Zeit. Mayr rückt nicht nur diese beiden Formen der Unterdrückung ins Zentrum ihrer Geschichte, auch Klassizismus und die fehlenden Rechte der Arbeiterklasse werden aufgegriffen. Alles hängt hier ohne Frage miteinander zusammen und scheint Baxter zu zerstören.

Die Autorin entwirft sprachlich gekonnt verschiedenste Passagiercharaktere, die scheinbar alle nur ihre eigenen Befindlichkeiten im Blick haben und auf sehr hohem Niveau über jede Kleinigkeit im Zug und in der Gesellschaft zum Meckern ansetzen. So schreibt sie auf Seite 46-47:

„Die Leute richten sich auf den weichen Matratzen ihrer Kojen ein, mitsamt ihren Koffern und Schachteln, ihren Hüten, Nachthemden und Morgenröcken, ihren überflüssigen Ansichten und den unerschöpflichen Bedürfnissen und Scheinbedürfnissen der Gutsituierten:…“

Während zu Beginn dieses Konglomerat aus Gutsituierten noch wie ein hochnäsiger Einheitsbrei wirkt, zeichnen sich vor allem zum Ende hin feine Differenzierungen zwischen den Fahrgästen ab, die einem nicht sämtliche Hoffnungen auf das Gute im Menschen verlieren lassen. Im absoluten Kontrast zum Leben auf der Seite der Bedienten im Zug und in der Gesellschaft steht das der Diener. Diese leben, stellvertretend dargestellt durch Baxter, am Existenzminimum, können sich kaum das Essen in der Angestelltenkantine leisten und arbeiten sich um ihre physische wie auch psychische Gesundheit, bekommen sie doch kaum Schlaf und Nahrung, sind ständig auf den Beinen. So entwickeln sich bei Baxter zunehmend Ausfallerscheinungen im Sinne von zum Beispiel kaum noch von der Realität zu unterscheidende Halluzinationen.

Wie lang so ein mehrtägiger Arbeitseinsatz, eingeschlossen in einem Zug, mit der ständigen Angst sogenannte Strafpunkte durch angebliches Fehlverhalten zu sammeln und letztlich entlassen zu werden, vermittelt Mayr passend durch ihren Schreibstil. Man hält das unablässige Klingeln nach dem „George“ (alle Schwarzen Diener erhielten den Namen George und wurden nicht bei ihrem richtigen Namen genannt), die nervenden Wünsche, Sonderbarkeiten und Typen der Passagiere kaum aus, hat das Gefühl der Zug und die Geschichte komme kaum voran, bis es dann doch endlich erlösend weitergeht. Zeitweise erscheinen 240 Buchseiten unendlich lang, aber das ist meines Erachtens literarisch so gewollt und erfüllt damit eine Funktion, nämlich die wichtige des „Show, don‘t tell“.

Trotzdem erzählt uns Mayr natürlich sehr viel mit ihrem Roman und weck dadurch nicht nur ein Bewusstsein für die vielen Wege der Unterdrückung von Minderheiten sondern auch für ein historisches Detail, welches sonst fast vergessen wäre, nämlich die „10 000 Black Men Named George“ (nach einem Filmtitel von Regisseur Robert Townsend), die Schwarzen Diener einer weißen Oberschicht. Übrigens ist der Filmtitel nur eine von sehr vielen Literatur- bzw. Quellenhinweisen, die die Autorin ihrem Buch angehängt hat. Neben der großartigen Recherchearbeit der Autorin sollte außerdem noch die ebenso großatige Übersetzungsleistung von Anne Emmert gewürdigt werden, die den Text von Mayr gekonnt ins Deutsche gebracht hat. 

Deshalb gibt es von mir eine klare Leseempfehlung für dieses Buch mit einem selten beleuchteten Setting.

4/5 Sterne