Rezension

Die perfekte Imperfektion

Das perfekte Grau -

Das perfekte Grau
von Salih Jamal

In einem abgehalfterten Hotel irgendwo in einem Seebad an der Ostseeküste treffen vier Menschen aufeinander. So wie der Ort, so wie das Haus haben Dante, Rofu, Novelle und Mimi schon bessere Tage gesehen.

Sie alle verbindet eine Flucht. Flucht aus der Heimat, vor der eigenen Herkunft, vor einem Regime, vor gewalttätigen Angehörigen, den Behörden. Für Rofu, Mimi und Novelle scheint die Flucht in dem Seebad eine Endstation, gefunden zu haben. Für Dante, der vor sich selbst fliegt, ein ungleich schwierigeres Unterfangen.

Rofu stammt aus dem Sudan, hat die Flucht über das Mittelmeer nach Europa geschafft. Er lebt mit der Schuld dessen, der weggefangen ist, der überlebt hat. In dem Hotel hat er eine Stelle als Küchenhilfe gefunden. Die junge Novelle zerbricht an einem Kindheitstrauma, ihre Haut ist übersät von Tätowierungen, ihr Mundwerk laut und unflätig. Doch im Innersten ist sie schwer verletzt, braucht immer mehr an Aktion und Reaktion, um sich selbst spüren zu können. Mimi ist die älteste in der Runde, elegant, reserviert. Ihre kühle Zurückhaltung verbirgt allerdings auch ein dramatisches Ereignis. Dante, der uns diese Geschichte aus seiner Perspektive erzählt, ist ein Rastloser, ein Zyniker, der sich allem entzieht, was Nähe bedeuten könnte. Er sich selbst gegenüber unsicher, kaschiert dies gerne unter großspurigen Humor.

„Das perfekte Grau, ist für jeden immer etwas anderes. Sogar für einen Selbst, wenn man auf sich zurückblickt.“

Egal ob man zurückblickt oder in die Zukunft sehen mag, wir werfen einen Schatten. Die perfekte Imperfektion, zwischen schwarz und weiß gibt es viele Töne.

Ganz viele unterschiedliche Töne schlägt auch Salih Jamal in diesem Buch an. Wir erleben die Menschlichkeit in allen Facetten: grob und laut bis hin zur filigranen Verwundbarkeit. Der Autor spielt mit Worten und Bildern, wir erkennen seine unglaubliche Liebe zur Literatur und Sprache.

Flucht bedeutet immer, jemanden oder etwas zurückzulassen, und damit immer auch ein Stück von sich selbst. Flucht bedeutet, ein Leben im Verborgenen zu führen, versteckt, unsichtbar. Doch kann es kein Ankommen geben ohne einen Aufbruch. Ankommen ist die Rückkehr zur Sichtbarkeit. Die vier Protagonisten – Dante, Rofu, Mimi und Novelle - lernen einander ganz genau zu sehen. Ihre Freundschaft ist ihr neues Zuhause.