Rezension

Der Mond bescheint den Untergang der Welt

Malé - Roman Ehrlich

Malé
von Roman Ehrlich

Die Malediven, einst Urlaubsparadies der Reichen und Schönen, sind durch den Anstieg des Meeresspiegels vom Untergang bedroht. In der Hauptstadt Malé schwappen die Wellen über die Straße, eine faulige Brühe voller Abfall. Dieses Anti-Paradies wird zum Anziehungspunkt unterschiedlicher Aussteiger. Da war der Lyriker Judy Frank, der einfach verschwunden ist; auf seinen Spuren nun die Amerikanerin Frances Ford. Auf der Suche ist auch Elmar Bauch, Vater der Schauspielerin Mona, deren Leiche zwar gefunden wurde, aber so verunstaltet, dass der Vater sie nicht erkennt und hofft, dass es ein Irrtum sei. Eine aktive, zielgerichtete Suche ist jedoch bei beiden nicht zu erkennen; sie lassen sich treiben, hoffen und warten. Ehrlich führt weitere Figuren ein: Einen Romanschriftsteller, den alten "Professor", der eine führende Rolle unter den Expats einnimmt, einen Arzt, der Schmucknarben ausführt, eine Holländerin, die mitten im Untergang ein Schwimmbad betreibt, und und und - und die "Eigentlichen", eine Gruppe bewaffneter und verschleierter Milizen, die sich die Versorgung mit dem Lebensnotwendigen teuer bezahlen lässt, für den Nachschub der Droge "Luna" sorgt und immer wieder einzelne Aussteiger exekutiert.

Eine Vielzahl von Personen also, über deren Gedanken und Gefühle der Leser aber wenig erfährt, die teils namenlos bleiben und teils nicht identifizierbar - wie der Gefesselte gleich im ersten Abschnitt, in dessen Kerkerverließ das Wasser steigt und der anscheinend dem Ertrinken preisgegeben ist. Es gibt zwar Kontakte untereinander, aber keine tragfähigen Beziehungen, keine Gruppe. Jeder ist vereinzelt, und auch ich als Leser finde keine Nähe zu ihnen, sondern empfinde mich als genauso orientierungslos. Wie die unverbundenen Schlaglichter auf die Personen werden auch die wenigen Handlungsfäden nicht weitergeführt, sondern in aller Konsequenz immer wieder abgerissen. Und was davon ist real, was ist den Wirkungen der Droge Luna geschuldet? Gibt es die Ungeheuer in den Neoprenanzügen mit den Schwimmhäuten zwischen den Fingern, wem gehören die Augen, die die Milizionäre beobachten, und wer hat ihr Schlauchboot zerstört? 

In einer untergehenden Welt gibt es keinen Sinn zu finden, keine klare Zielorientierung oder Zusammenhänge. Folgerichtig ist auch die Sprache ausufernd, mäandernd, voll langer Schachtelsätze mit teils ungewöhnlichem Vokabular. Luna, der Mond, ist ein Leitmotiv: Immer wieder wird der Mond beschrieben, stilisierte Mondphasen trennen die Kapitelabschnitte, um die Droge "Luna" kreisen die Ausgestiegenen. Es ist konsequent: Wenn es keine Zukunft gibt, kann sie auch nicht in der Romanform beschrieben werden; es kann keine "Helden" geben. Vermutlich ist das Buch deshalb auf der Nominierungsliste des Deutschen Buchpreises 2020 gelandet.

Aber, ach!, als Leserin wünsche ich mir etwas ganz Anderes...

Kommentare

katzenminze kommentierte am 05. November 2020 um 10:53

XD Ich glaube ich bleibe die einzige, die es ganz gerne mochte.