Der Anarchist mit der Schreibmaschine
Bewertet mit 5 Sternen
Als Richard Westermann zur Trauerfeier für den bedeutenden Autoren Rupertus Höfer geht, ahnt er noch nicht, dass diese Feier sein ganzes Leben verändern wird. Doch was die alte mechanische Schreibmaschine, die auf Höfers Sarg steht, in ihm auslöst, kann man nur mit „Liebe auf den ersten Blick“ beschreiben. Westermann, IT-Vorstand und bislang fest etabliert in der digitalen Welt, betritt eine ganz andere – eine analoge, entschleunigte und zudem ausspähsichere…
Dieses Buch hat mir richtig Spaß gemacht! Das Szenario selber ist schon herrlich – und mal ehrlich: Die analoge Welt wirkt zwar heute umständlich und veraltet, hatte aber auch ihre Vorteile. Westermann betritt diese für ihn neue (alte) Welt und ist Willens, genau diese Vorteile für sich zu entdecken. Zunächst einmal heißt es aber sich zu orientieren, sein Leben umzustellen und vor allem, reichlich Widerständen zu trotzen und sich in der Öffentlichkeit mutig zu behaupten. Wie es aussieht, wenn ein IT-Vorstand bei einer Pressekonferenz mit einer mechanischen Schreibmaschine auftaucht, kann man sich vorstellen!
Zu der einfallsreichen Handlung gesellt sich mit Westermann ein Charakter, der ein wirklicher Sympathieträger ist. Ein bisschen eigen, ein wenig schräg, mit einer ungewöhnlichen Vorliebe für Beerdigungen und dem seit früher Kindheit gelebten Vorsatz, „einmal am Tag etwas zu tun, vor dem man Angst hat“. Auch bei den weiteren Charakteren sind einige sehr interessante dabei und bei jedem davon kann der Leser gespannt sein, wie er wohl auf die gute „Gabriele“ reagieren wird…
»Hörst du dieses fette Klackern? Oder ist das mehr ein Schnalzen? Und der Wagenrücklauf – es ist, als würde sie ganz kurz Luft holen, bevor sie einrastet. Da ist so eine Spannkraft im Ton, total dynamisch.«
Das Handlungsspektrum umfasst (abgesehen von Schreibmaschinen und Beerdigungen) sowohl die berufliche Welt unseres Protagonisten mit diversem, was es in der IT-Branche an Themen geben kann, als auch sein Privatleben, in dem es um seinen Sohn, die Nachbarin und seine über achtzigjährige Mutter Yolanda geht, die ausgerechnet jetzt beginnt, bei „Tracebook zu schetten“ und das „Internetz“ zu erobern.
Fazit: Ein rundum gelungenes Lesevergnügen!
»Sein Blick ging … unwillkürlich zur Tür zwischen Küche und Flur hinüber, wie um sich zu vergewissern oder vielmehr um sich ultimativ anzufreunden mit dem, was er da vorhatte an diesem Tag: die Maschine mitzunehmen. Er hatte sie bereits aus der Waffenkammer geholt und griffbereit in den Türrahmen gestellt. Jeden Tag etwas tun, wovor man Angst hatte – und dies würde etwas für die ganz Harten werden. Eine Meditation für Fortgeschrittene unter völliger Ausschaltung des gesunden Menschenverstands und jeglicher Planung. Schön bekloppt eigentlich. Westermann kam sich jetzt schon vor wie ein Anarchist.«