Rezension

Beklemmend

Harz - Ane Riel

Harz
von Ane Riel

Bewertet mit 4 Sternen

Bin ich nach dem Klappentext davon ausgegangen, dass es hier um Liv geht, so empfinde ich das nach dem Lesen anders. Der Protagonist ist Jens, Livs Vater. Auch wenn es oft nicht direkt um ihn geht, schwingt doch immer viel zwischen den Zeilen mit. Auch handelt es sich hier nicht um einen typischen Thriller – das Grausame liegt tiefer verwurzelt, als ein Mord es könnte.

„Was seine wirklichen Söhne betraf, hatte er das Glück, seine Liebe und sein Wissen mit ihnen teilen zu können: Jens liebte den Wald mit dem Herzen, Mogens mit dem Verstand. Anders ausgedrückt bekam Jens einen Kloß im Hals, wenn er sah, wie ein Baum gefällt wurde, während Mogens eifrig den Preis berechnete, den er wert war.“ (Zitat S. 23)

Jens ist ein sehr emotionaler Mensch. Er hängt sein Herz schnell an Dinge und hat Angst, diese wieder zu verlieren. Über die Jahre entwickelt er das Messie-Syndrom, dessen wahres Ausmaß erst im Verlauf der Geschichte zum Tragen kommt. In Rückblenden erfährt der Leser, wie es dazu kam. Eigentlich ist er ein ganz normaler Mann – er hatte eine Kindheit in der Natur, hat seine Traumfrau kennen gelernt und eine wunderbare Tochter. Doch je älter er wird, desto mehr zieht er sich von den anderen Dorfbewohnern zurück – zu groß seine Angst, dass man ihm wegen seiner Lebensumstände alles nehmen wird, was ihm noch lieb ist.

„Das Harz hatte etwas gleichzeitig Heilendes, Tötendes und Bewahrendes, das Jens Haarder in seinen Bann zog.“ (Zitat S. 78)

Auch seine Frau merkt, dass ihn etwas umtreibt. Versucht sie anfangs noch, ihn liebevoll in seine Schranken zu weisen, gibt sie irgendwann auf. Doch sie hat nicht die Kraft, Hilfe zu holen – mal ganz davon abgesehen, dass ihr das wie Verrat vorgekommen wäre. So bleibt ihr nur ihre Tochter Liv, die sie umsorgen kann. Liv ist zwischen dem Chaos und den wirren Gedanken ihres Vaters aufgewachsen und liebt ihn bedingungslos. Die meiste Zeit wird die Geschichte aus ihrer Sicht erzählt, sodass klar hervorsticht, dass ihr Vater nur das Beste für sie will und keine bösen Gedanken hegt. Doch nach und nach beginnt Liv, das Verhalten von Jens zu hinterfragen, denn bald erscheinen seine Taten ihr nicht mehr ganz so freundlich.

Zwischen Livs Erzählungen aus der Gegenwart und den Perspektiven von Jens werden kurze Briefe der Mutter an ihre Tochter eingeschoben, was das Ganze noch beklemmender macht. Sie ist in ihrer Hilflosigkeit gefangen und so sehr sie sich auch wünscht, ihre Tochter zu retten, schafft sie es einfach nicht. Anfangs dachte ich, dass es sich weniger um einen Thriller als mehr um ein (Familien)Drama handelt. Doch je weiter die Story voranging, desto beklemmender wurde die Atmosphäre. Das war sicher auch den durch das Chaos klaustrophobischen Räumen geschuldet, die in der skandinavischen Weite die Story abgesteckt haben.

Persönliches Fazit
Eine Story, die sich trotz zähem Beginn rasant entwickelt und mit einigen interessanten Wendungen aufwartet.