Rezension

Aufwühlend und fesselnd – großartig!

Wenn du mich heute wieder fragen würdest - Mary Beth Keane

Wenn du mich heute wieder fragen würdest
von Mary Beth Keane

Bewertet mit 5 Sternen

„Wenn du mich heute wieder fragen würdest“ ist ein ganz heißer Kandidat für mein Highlight des Jahres. Eine Familiengeschichte wie diese habe ich schon lange keine mehr gelesen.

Dabei verspricht die Kurzbeschreibung eigentlich nichts besonders Großartiges, und das was diesen Roman so aus der breiten Masse heraushebt, ist auch nicht die Handlung als solche, sondern mit welchem Geschick die Autorin an ihre Geschichte zu fesseln weiß, von Seite zu Seite enger, und wie sie es schafft, dass sich alles so unsagbar echt und glaubwürdig anfühlt. Es geht um so große Themen wie Liebe und Loyalität,  Schmerz und Vergebung, und darum wie prägend die „jungen Jahre“ für das spätere Leben sein können.

Francis Gleeson und Brian Stanhope kennen sich aus ihrer Anfangszeit als Streifenpolizisten in New York, und vor allem Lena Gleeson freut sich auf eine freundschaftliche Nachbarschaft als die Stanhopes eines Tages in das Haus neben dem ihren einziehen. Doch Anne Stanhope begegnet ihr mit verstörender Kälte. Was eine gute Beziehung hätte sein können, mündet in frustrierte Distanz. Den Problemen der Eltern zum Trotz, fühlen sich ihre Kinder, Peter und Kate, von klein auf zueinander hingezogen. Ihre Freundschaft geht tief und ihren Müttern will es nicht gelingen, die beiden voneinander fern zu halten. Man spürt recht bald, dass mit Anne etwas nicht stimmt, aber diese lässt niemanden an sich heran und verweigert jegliche Hilfe – bis es zu dem im Klappentext erwähnten „tragischen Vorfall“ kommt, der die Mitglieder beider Familien völlig aus der Bahn wirft. Bis dahin ist es schon spannend und aufwühlend, aber wie sie nun damit umgehen und was mit ihnen geschieht, macht dann den größten Teil der Geschichte aus.

Mary Beth Keane wechselt in größeren Abständen die Erzählperspektive, so dass man Nähe zu den verschiedenen Protagonisten bekommt und Zeit genug hat, sich in ihre individuellen Sichtweisen und Empfindungen einzufühlen. Manchmal werden dabei größere Zeiträume überbrückt, dann aber auch bereits erzählte Ereignisse noch einmal aus anderer Sicht beleuchtet. Vielleicht ist das mit eine Erklärung dafür, dass man (jedenfalls ich) den Figuren so viel Verständnis entgegenbringt, ihre Fehler verzeiht und sie trotzdem mag, oder zumindest respektiert, egal wie groß oder schlimm ihre Verfehlungen gewesen sind. Ich denke, das ist eine eher seltene Fähigkeit, die mich hier nachhaltig beeindruckt hat.

Peter, Kate und ihre Familien durch die Höhen und Tiefen ihres Lebens zu begleiten, war für mich ein aufwühlendes und erstaunlich fesselndes Leseerlebnis. Die Autorin hat eine großartige Art zu erzählen! Einfühlsam, ohne zu werten und emotional zu dramatisieren, bedient sie sich eher der leisen Töne und lässt Unausgesprochenes zwischen den Zeilen mitschwingen. Gerade das macht diesen Roman für mich so authentisch und berührend. Mehr als einmal hatte ich beim Lesen Tränen in den Augen, was bei mir echt nicht oft vorkommt.

Große und kleine Dramen gibt es in nahezu jedem Leben. Es kommt darauf an wie man sie bewältigt, auf welche Dinge man den Fokus legt und dass man spürt, was im Leben wirklich zählt und glücklich macht. Als ich das Buch am Ende zugeklappt habe, hallte diese ebenso kluge wie zeitlose Botschaft in mir nach. Nichts Neues, keine Frage, trotzdem kann diese Erkenntnis m. E. nicht oft genug vermittelt werden.

Den Eisele Verlag hab ich erst vor kurzem für mich entdeckt und die Bücher, die ich bisher von ihm gelesen habe, fand ich alle hervorragend. Ein Verlag, den ich nicht mehr aus den Augen verlieren will.