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Grimms Albtraum: Annette von Droste-Hülshoff - Esther Grau

Grimms Albtraum: Annette von Droste-Hülshoff

von Esther Grau

Januar 1797 Die Frau des Webers schrak zusammen, als die Tür des Kottens aufsprang. In einem Wirbel aus Schneeflocken stürzte eine vermummte Gestalt herein. Catharina riss ihren Säugling aus dem Körbchen neben dem Webstuhl, presste ihn schützend an die Brust und starrte zur Tür."Was willst du?"Die gebückte Gestalt wandte sich der Eindringling der Webersfrau zu und schob den Wollschal aus dem Gesicht."Ach, du bist es", seufzte Catharina, als sie die Bückersche, eine Verwandte aus Schonebeck, erkannte. "Ist etwas passiert?""Und ob! Ich bin gekommen, um dich zu holen. Man braucht deine Hilfe.""Wem soll ich helfen?""Bei den Drostes auf Hülshoff ist das Kleine angekommen, aber sie fürchten, der arme Wurm überlebt es nicht.""Die gnädige Frau ist jetzt schon niedergekommen?""Ja, vor der Zeit. Gestürzt ist sie auf dem Eis der Gräfte und jetzt ist das Siebenmonatskind so zart, dass alle um sein Leben fürchten. Es trinkt wohl nicht.""Aber wie kommst du auf mich?""Na, sie suchen eine Amme. Du hast mir doch selbst gesagt, du hättest Milch für zwei.""Wie stellst du dir das vor? Joan Bernard ist kaum sieben Wochen alt und mein Mann hustet sich die Seele aus dem Leib." Wie aufs Stichwort ertönte heiseres Husten aus der Upkammer, das gar nicht mehr aufhören wollte. "Er ist zu schwach zum Weben, also muss ich das Leinen fertigmachen.""Mit dem Kind an der Brust schaffst du die Arbeit doch nicht und wirst am Ende auch noch krank. Die Stelle als Amme ist ein Glücksfall für dich - sie werden dich gut entlohnen.""Ich mache es nur, wenn ich meinen Kleinen mitbringen kann.""Natürlich. In einer Stunde ist die Kutsche aus Hülshoff hier.""Du hast schon zugesagt?""Glaub mir, etwas Besseres kann euch gar nicht passieren."Catharina kannte Burg Hülshoff nur aus der Ferne. Oben, vor dem Schlafzimmer der Freifrau, gebot ihr ein Herr mit Halbglatze und Stirnfalten Einhalt. Er musterte Catharina von Kopf bis Fuß."Wenigstens hast du was auf den Rippen", nickte er anerkennend. Der Arzt umfasste Catharinas Handgelenk mit festem Griff und nickte befriedigt zu dem regelmäßigen Pochen. Mit Daumen und Zeigefingern spreizte er der Weberin dann die Lippen auseinander, um ihr Gebiss zu begutachten."Augenscheinlich gesund", diagnostizierte er. Dann stellte er ihr einige Frage zu ihrem Milchfluss. Catharina lief wieder rot an. Wie konnte ein Mann so etwas fragen? Gebären und Stillen waren doch Frauensache. "Antworte mir. Ich bin für die Gesundheit der gnädigen Frau und ihr Kind verantwortlich und muss daher genau wissen, wie es um deinen Körper steht."Catharina senkte ergeben den Blick und beantwortete widerwillig alle Fragen des Arztes. Als er endlich mit ihren Auskünften zufrieden war, leuchtete Catharinas Kopf dunkelrot. Ohne weitere Umstände führte der Arzt die Weberin zum Schlafzimmer. "Gnädige Frau, hier ist die Amme - Maria Catharina Plettendorf aus Altenberge." Catharina schlug der strenge Geruch des Wochenbetts entgegen. Ein großes Ehebett dominierte den Raum. In Altenberge schlief eine ganze Familie mit mehreren Kindern in einem solchen Bett, aber hier lag nur eine Frau darin. Die blutarme Haut der Freifrau Therese von Droste-Hülshoff wirkte weiß wie ihr Nachthemd. Offenbar fehlte der Freifrau die Kraft, zu sprechen, so wies sie stumm auf eine Wiege in der Ecke des Raums. Catharina lugte hinein und fand einen winzigen Säugling. Er tat keinen Mucks, selbst sein Atem war kaum zu spüren. Mit größter Vorsicht hob Catharina das Kleine auf den Arm und legte es auf Geheiß des Arztes sofort an. Ihr fielen die außergewöhnlich großen, himmelblauen Augen des Säuglings auf, die sie wie tiefe Brunnen magisch anzogen.Für einen Moment schien der Säugling nicht zu wissen, was zu tun sei. Dann gab er einen kleinen Laut von sich und begann zum Erstaunen von Mutter und Arzt zu trinken."So ist’s recht, mein Vögelchen, trink dich stark an deiner Amme", flüsterte Catharina und wandte sich dann an den Doktor. "Wie heißt denn der kleine Wurm?""Anna-Elisabeth. Sie wird Annette genannt."

Rezensionen zu diesem Buch

Sehr spannende Romanbiographie

Ich muss gleich zu Beginn sagen, ich hatte mich vor dem Lesen des Romans kaum mit Annette von Droste-Hülshoff beschäftigt. Ich kannte sie nur noch aus dem Deutschunterricht. Mit dieser Romanbiographie konnte ich sie nun endlich näher kennenlernen.

Der Roman beginnt mit der Geburt von Annette, einem Frühchen. Mit der Beschreibung der zukünftigen Amme von Annette ist der Einsteig des Romans sehr gut gelungen. Ich war sofort in der Geschichte drin. Es werden die glücklichen Kinderjahre...

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Lebendiges Biedermeier

Wer war Annette von Droste-Hülshoff? Hier lernt man sie kennen.
Anschaulich und einfühlsam erzählt Esther Grau Annettes Lebensgeschichte von der Geburt 1797 bis zu ihrem Tod 1848. Nur 51 Jahre hat sie gelebt, war immer sehr zart und kränklich, aber auch gleichzeitig voller Fantasie, Originalität und Schaffensdrang, vielseitig begabt, gebildet und vielseitig interessiert.

Hier erlebt man mit, wie ein aufgewecktes, träumerisches Mädchen in einer Zeit aufwächst, in der zu viel „...

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Weitere Infos

Art:
eBook
Sprache:
deutsch
Umfang:
356 Seiten
ISBN:
9783862823567
Erschienen:
Juli 2015
Verlag:
Acabus Verlag
8.5
Eigene Bewertung: Keine
Durchschnitt: 4.3 (2 Bewertungen)

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