Rezension

Zynismus als Aufschrei. Reicht das?

Morenga - Uwe Timm

Morenga
von Uwe Timm

Bewertet mit 3.5 Sternen

Zum achtzigsten Geburtstag Uwe Timms, neu aufgelegt!

Die Kriegsverbrechen Deutschlands außerhalb des Zweiten Weltkriegs werden oft unter den Tisch gekehrt. Hier sind sie entsetzlich greifbar.

Der 2020 wieder aufgelegte und überarbeitete Roman „Morenga“ aus dem Jahre 1978 von Uwe Timm, ist es ganz sicher wert, gelesen zu werden. Er beschreibt den Genozid, den Deutschland und England, beide zusammen, an den Hereros und Hottentotten in Namibia in den Jahren 1904ff. begangen haben. Das Stilmittel des Aufschreies ist Timms spezieller Zynismus.

Der Roman orientiert sich größtenteils an reinen Fakten, das hießt, es werden zeitgenössische Dokumente mit eingearbeitet. Diese Fakten allein beweisen schon die Unmenschlichkeit, mit der vorgegangen wurde. Die Einheimischen wurden von den Militärs nicht als Menschen betrachtet und entsprechend behandelt: geschlagen, gefoltert, vergewaltigt, eingesperrt, verhungernd, verdurstend: Rassismus niedrigster Art war Alltag in den Köpfen der Europäer. Die Einheimischen leisteten Widerstand. Es herrschte Krieg. Guerillakrieg. Der Anführer der Widerstandskämpfer war ein Häuptling namens Morenga. Dank der zahlreichen Überlegenheit der europäischen Militäre, erlangten diese den Sieg und zwangen die Menschen zum „Frieden“. Und das war das Ergebnis:

„Der Grundbesitz und das Vieh aller aufständischen Stämme der Herero und Hottentotten wurde enteignet. Gesetze wurden erlassen, die es den Eingeborenen verboten, Grundstücke zu erwerben, Großviehzucht zu betreiben und Reittiere zu haben. … Mehr als zehn Eingeborenenfamilien durften nicht zusammen auf einem Grundstück wohnen. Die Bestimmungen zielten darauf, die Afrikaner wirtschaftlich zu entmachten, sie zugleich dazu zu zwingen, Arbeit bei den Weißen anzunehmen. Darüber hinaus sollte, um die wirtschaftliche Entmachtung und den Zwang zur Arbeit wirksam zu machen, auch die traditionelle Stammesorganisation zerstört werden.“

Uwe Timm zeigt in seinem Werk, wie Rassendünkel und falscher Missionarseifer zu gemeinen und oft skurrilen Ergebnissen führen. Sein Zynismus ist zuweilen grenzenlos. Solche Berichte brauchen wir. Doch die Auseinandersetzung mit dem Geschehenen findet eigentlich nicht statt. Das alles muss der Leser leisten anhand des Berichteten.

Eigentlich ist der Roman auch gar kein Roman. Er ist ein Zeitzeugnis, eine Dokumentation, aufgehübscht mit einigen lesbaren Elementen. Es ist folgerichtig, dass der Roman sehr nüchtern gehalten ist und auch gar keinen Helden hat, sondern einen Mitläufer. Immerhin klinkt sich Gottschalk, der Antiheld, eines Tages aus. Das ist vielleicht die weiterreichende Botschaft, sich ausklinken ist das Wenigste, was du tun kannst. Das aber könnte eigentlich jeder!

Das Dokumentarische, das sich auch darin niederschlägt, dass viele Kampfhandlungen in langwierigen Passagen nachvollzogen werden, ist jedoch ermüdend. Morenga, die titelgebende Gestalt, spielt nur eine Nebenrolle.

Ein Nachwort von Robert Habeck bringt keinen Gewinn. Es gibt keine Bereitschaft zur Übernahme politischer Verantwortung. Kein Eingeständnis nationaler und historischer Schuld. Kein Ausblick auf die jetztigen und künftigen Beziehungen, kein Wort zu Reparationszahlungen, zur Entwicklungspolitik. Da ist mehr als dürftig. Könnte man jetzt noch etwas tun, jemanden bestrafen? Ja, zumindest symbolisch. Man könnte sämtliche verliehenen Orden und Auszeichnungen posthum aberkennen. Das wäre ein Zeichen. Aber im Nachgang Politiker-Blabla? Nein, danke.

Fazit: Man kann dem Roman selber im Grunde keinen Vorwurf machen, sein Informationsgewinn ist unschlagbar, aber Timms Bindung ans bloß Beschreibende und die Fakten sowie die ausufernde Darstellung von Kriegshandlungen im Einzelnen haben mich oft an die Grenzen meines Interesses gebracht.

Kategorie: Politisches Buch. Sachdokudrama.
Dtv, 2020

Kommentare

Emswashed kommentierte am 15. Juni 2020 um 12:53

"Timms Bindung ans bloß Beschreibende", ist genau das, was dem Thema die Ruhe bringt, um Gedanken sammeln zu können. Wenn man nur lärmt und schreit, hört ja auch keiner mehr zu.

wandagreen kommentierte am 15. Juni 2020 um 13:36

jajaja - du hast recht, aber das meine ich nicht. Ich kanns nicht plastisch greifen. Du wirst merken, was ich meine, wenn du Pfaueninsel gelesen hast.