Rezension

Zwischenhoch

Die Stunde zwischen Frau und Gitarre
von Clemens J. Setz

Bewertet mit 3 Sternen

Die junge Natalie Reinegger bekommt gleich nach ihrer Ausbildung eine Stelle als Bezugsbetreuerin in einem Wohnheim für behinderte Menschen. Ihre sogenannten Bezugis sind recht unterschiedlich. Einigen soll soweit geholfen werden, dass sie das Heim verlassen können, andere haben diese Aussicht nicht, weil ihre Einschränkungen zu schwerwiegend sind. Ein besonderer Fall ist Herr Dorm, der obwohl auf den Rollstuhl angewiesen, eine Frau so lange belästigt haben soll, bis sie sich umgebracht hat. Nur ging es ihm nicht um die Frau, sondern um deren Mann. Und dieser Dr. Hollberg besucht Dorm nun regelmäßig. In diese Welt wächst Natalie langsam hinein. 

 

Mit über tausend Seiten etwas ausufernd schildert der Autor Natalies Leben und Erleben mit ihrer neuen Arbeitsstelle. Im Privaten eher haltlos driftet Natalie durch Tag oder Nacht, ihr mobiles Telefon immer bei der Hand, um Geräusche oder Gespräche aufzuzeichnen. Ein gewisser Drogencocktail muss ihr ebenso durch Tag oder Nacht helfen. Von ihrem Freund hat sie sich getrennt, kann ihn aber nicht richtig loslassen. Und so bleiben neue Begegnungen flatterhaft und ungewiss. Vielleicht stürzt sich sie umso mehr in die Arbeit, um Halt zu finden. Doch ganz leicht machen es ihr die Bezugis nicht. Zu groß sind manchmal die Seltsamkeiten, mit denen die Behinderungen einhergehen oder sich ausdrücken. 

 

Anrührend und abstoßend zugleich wirkt diese Geschichte. Epische Ergüsse wechseln sich mit Passagen ab, die fast wie eine Kriminalgeschichte wirken. Surreal wirken die Wanderungen Natalies durch die nächtliche Stadt, ihre drogenverzerrte Sicht mal kreischende Bilder, die verstören können. Und dann wieder ihre großenteils sanfte Umgangsweise mit einigen ihrer Bezugis. Ihre Schwierigkeiten, sich abzugrenzen, gut nachvollziehbar. Die Schicksale der Heimbewohner und ihre Versuche, mit den Einschränkungen zu leben, lassen den Leser nicht kalt. Menschlich, dass nicht jeder sympathisch wirken kann. Und so inhaliert man Teile dieses umfangreichen Werkes, fühlt in Teilen mit, empfindet jedoch auch des Öfteren Unverständnis und bleibt schließlich mitunter verwirrt in dem Gedanken, dass man das Ganze nicht durchdrungen hat. Es wird am Leser liegen und nicht am Autor.