Rezension

Zwischen den Kulturen...

Vater und ich -

Vater und ich
von Dilek Güngör

Bewertet mit 4 Sternen

Zwischen den Kulturen und auf der Suche nach Identitäten geraten Vater und Tochter in die Sprachlosigkeit - eine leise-kraftvolle Erzählung...

Als Ipek für ein verlängertes Wochenende ihren Vater besucht, weiß sie, dass er auf dem Bahnhofsplatz im Auto auf sie warten und sie nicht am Zug empfangen wird. Im Elternhaus angekommen sitzt sie in ihrem früheren Kinderzimmer, hört ihn im Garten, im Haus, beim Teekochen. Die Nähe, die Kind und Vater verbunden hat, ist ihnen mit jedem Jahr ein wenig mehr abhandengekommen, und mit der Nähe die gemeinsame Sprache. Ipek ist Journalistin, sie hat das Fragenstellen gelernt, aber gegenüber
dem Schweigen zwischen ihr und dem Vater ist sie ohnmächtig.

Dilek Güngör beschreibt die Annäherung einer Tochter an ihren Vater, der als sogenannter Gastarbeiter in den 70er Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. Sie erzählt von dem Versuch, die Sprachlosigkeit mit Gesten und Handgriffen in der Küche, mit stummem Beieinandersitzen zu überwinden. Ein humorvoller wie rührender Roman über eine Vater-Tochter-Beziehung, mit der sich viele werden identifizieren können. 

(Klappentext)

 

Erster Satz: "Wann haben wir aufgehört, miteinander zu sprechen?"

 

Gerade einmal 112 Seiten umfasst diese leise Erzählung aus dem Verbrecher-Verlag, die es jetzt auf die diesjährige Longlist des Deutschen Buchpreises katapultiert hat. Der innere Monolog der Ich-Erzählerin Ipek oder auch deren meist sprachloser Dialog mit dem Vater dominieren das ansonsten unaufgeregte Geschehen. Doch innerlich beben Welten.

Ipek versucht dem beiderseitigen Unvermögen auf die Spur zu kommen, miteinander zu sprechen. Das war nicht immer so. Es gab eine Zeit, da waren Ipek und ihr Vater sich nahe, damals, als sie noch ein Kind war. Quatsch machen und kuscheln, miteinander lachen und toben, Gesten stillschweigenden Einverständnisses. Doch mit dem Heranwachsen Ipeks veränderte sich das Miteinander. Es gab keinen unbefangenen Umgang mehr, beide zogen sich mehr und mehr zurück, hatten sich abseits vom Alltagsgeschehen nichts mehr zu sagen.

Den Kurzurlaub der Mutter sieht Ipek nun als Gelegenheit, sich dem Vater womöglich wieder anzunähern. Doch ist das schwieriger als gedacht, denn keiner der beiden vermag wirklich über seinen Schatten zu springen, der eigenen Sprachlosigkeit zu entkommen. Alltagsroutinen sorgen für Begegnungen und ein geregeltes Miteinander, die Sprache jedoch beschränkt sich meist auf das Notwendigste. Kleine Ausreißer wie Insider-Witze oder auch kleine Gesten der Aufmerksamkeit zeigen allerdings, dass sich Vater und Tochter nicht gleichgültig sind...

 

"Manchmal stelle ich mir vor, du wärst nicht mein Vater. Schon der, der du bist, aber eben nicht mein Vater, ein Fremder. Mit Fremden zu sprechen, fällt mir nicht ganz so schwer, ständig spreche ich mit Menschen, die ich zum ersten Mal treffe, frage sie Dinge, die ich dich nie zu fragen wagte."

 

In dem Versuch, die Sprachlosigkeit zwischen sich und dem Vater zu ergründen, lässt Ipek ihre Gedanken frei fließen. So springt sie immer wieder aus der Gegenwart in die Vergangenheit: in ihre eigene als Kind und als Heranwachsende, aber auch in die ihrer Eltern, die es in den 1970er Jahren aus der Türkei nach Deutschland gezogen hat. Dabei kennt sie die Geschichte ihres Vaters nur bruchstückhaft, meist erzählt von ihrer Mutter oder von anderen Angehörigen. 

Deutlich wird, dass sowohl ihre Eltern als auch sie selbst als türkischstämmige Deutsche zwischen den Kulturen stehen und wie schwierig es ist, dabei zu einer eigenen Identität zu finden. Ipek hat sich als Heranwachsende nicht nur wie jede:r andere Pubertierende von den Eltern distanziert, sondern zusätzlich noch von ihrer Herkunft, weil sie in der Schule dazugehören wollte. Diese kulturellen Differenzen haben die Sprachlosigkeit zwischen ihr und dem Vater sicher weiter verschärft...

 

"Viel später erst, an der Uni, lernte ich (...) ein tadellos gesprochenes Türkisch. (...) Zuhause, mit dir, sprach ich mein neues Türkisch nicht, es war mir peinlich, dir in deiner eigenen Sprache fremd zu sein. Wir sprechen Dialekt, der immer dann besonders lebendig wird, wenn du mit Verwandten aus dem Dorf am Telefon bist. Ich verstehe ihn, spreche den Dialekt aber nicht so wie du. Überall fehlen mir die Worte, in deiner Sprache, in meiner Sprache und mit dir sowieso."

 

Wie zu erwarten, erweist sich das Unvermögen miteinander zu sprechen als ein Produkt vieler Ursachen. Die kulturellen Differenzen, das Rollengefüge (Ipek fühlt sich den Eltern gegenüber immer noch als Kind) und auch die eigene Persönlichkeit (Ipek und ihr Vater scheinen sich durchaus ähnlich zu sein) führen zu einem im Grunde unlösbaren gordischen Knoten. Ipek selbst schwankt in ihren Gedankengängen und den oft eher hilflos anmutenden Versuchen, den Kontakt zum Vater zu intensivieren, zwischen Sehnsucht, Verzweiflung und einem pragmatischen "es ist eben so" hin und her.

Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesem schmalen Büchlein um eine autofiktionale Erzählung handelt. Die Vorstellung, dass der eigene Vater der Autorin diese Zeilen womöglich lesen kann, hat etwas Tröstliches. Es sind in jedem Fall verbindene Worte, die vielleicht nicht die gegenseitige Sprachlosigkeit durchbrechen, wohl aber ein besseres Verstehen bedeuten können.

Eine leise-kraftvolle Erzählung, die zum Nachdenken anregt und über das letzte Wort hinaus nachhallt. 

 

© Parden