Rezension

Zerrspiegel

Lapvona -

Lapvona
von Ottessa Moshfegh

Bewertet mit 5 Sternen

Moshfeghs neuer Roman beginnt mit einem mörderischen Überfall auf das Dorf Lapvona. Die Schilderung der Hinrichtung eines der Angreifer setzt den Ton für den ganzen Roman und ist, wie sich erweisen wird, problemlos steigerbar.  „Marek öffnete genau in dem Moment die Augen, in dem einer von Villiams Männern dem Räuber mit einem Schwert den Bauch aufschlitzte, dass das Gedärm herausquoll und nass auf den Boden klatschte.“

Die Story umfasst etwa ein Jahr und spielt in einem mittelalterlichen Setting in einem vage osteuropäisch anmutenden Dorf. Lapvona war einst ein fruchtbares Tal, in dem man ein gutes Leben führen konnte. Eine Pestepidemie hat den Ort entvölkert; Villiam, der neue Fürst auf dem Burghügel, erweist sich als schwacher, narzisstischer Herrscher. Die Hauptfigur ist Marek, missgebildetes Produkt aus Inzest und  verunglückter Abtreibung – ein jämmerlicher Held von masochistischer Frömmigkeit. Als der Sohn des Fürsten zu Tode kommt, nimmt dieser Marek an Sohnes Statt an. Es folgt ein unnatürlich heißer Sommer, und die Welten oben in der Burg – Hedonismus und Dekadenz – und die unten im Dorf – Hunger und Tod – scheinen unvereinbar.

Im höllischen Lapvona gibt es kein Mitgefühl und keine Liebe, keinen Austausch und keine Solidarität. Auch die Religion schafft kein gemeinsames Wertesystem. Marek freut sich über die Sünden der anderen, weil er sich in der Relation dadurch selbst erhöht fühlt. Nicht einmal der Priester hat die Bibel gelesen. Nur der  allwissende Erzähler scheint eine göttliche Instanz zu sein, dessen Blick immer leicht nach unten gerichtet ist -  ein bisschen so wie in einem Ego-Shooter. Sarkastisch kommentiert und korrigiert dieser die Wahrnehmung der Charaktere, so dass wir nie im Unklaren über deren Irrtümer, Trugschlüsse und Selbsttäuschungen bleiben. Moshfegh lässt ihre Figuren stumpf und blind durch ihr Dasein stolpern.

Bei Grigor jedoch, einem älteren Dorfbewohner, haben die Schrecken der Dürre den Schleier der Täuschung weggerissen. Er hat das Spiel Villiams durchschaut – eine Steilvorlage für Veränderung. Aber Moshfegh lässt ihn ins Leere laufen: Die Dorfbewohner glauben ihm nicht und ein neuer Kreislauf des sklavischen Elends kann beginnen. Lapvonas ambivalenteste Figur ist die Hexe Ina, die das halbe Dorf als Amme großgezogen hat. Sie allein hätte den nötigen Durchblick und die Fähigkeiten, die es brauchte, um die Gemeinschaft aus der Barbarei zu führen. Ironischerweise ist sie blind - und auch ihr ist Altruismus fremd.

Im letzten Drittel bringt Moshfegh fast ihr gesamtes Personal um, und wenn man glaubt, dass einen nichts mehr schockieren kann, setzt sie ein derart entsetzliches, anrührendes Ende, dass einem die Luft wegbleibt. Auf dem Weg dahin hat sie keine Scheußlichkeit ausgelassen – Raub, Mord, Inzest, Verstümmelung, Verwesung, Dreck, Vergewaltigung, Kannibalismus. Das ist nur deshalb auszuhalten, weil sie so unglaublich gut schreiben kann.

Was will Moshfegh mit ihrem düsteren Märchen? Ironisch antizipiert sie unsere Verwirrung und unser Bedürfnis zu verstehen. „Im Nachhinein hat alles einen Sinn. Ob wahr oder falsch, man muss sich für alles eine Erklärung zurechtlegen, um irgendwie durch´s Leben zu kommen.“ Stimmt. Moshfeghs höllische Allegorie hält uns den (Zerr-)Spiegel vor.

Die Dürre repräsentiert die Klimakrise. Jemand verbraucht zu seinem Spaß alle Ressourcen und der Rest der Welt verdurstet – ist dieser Jemand etwa wir? Villiam ist der dumme, narzisstische Trump, der per Twitter regiert und den nichts als die Macht interessiert – und für diese tut er alles. Der Klerus hat schon immer mit den Mächtigen paktiert. Das krasse Oben und Unten im Dorf spiegelt die klaffende Schere der Gesellschaft im Raubtierkapitalismus. Unsere Filterblasen verhindern, ganz wie im Dorf, echte Verständigung.  Nicht nur die Dorfbewohner sind zu blöd, sich aus dem Sumpf ihres Egoismus zu erheben und die Probleme der Welt anzugehen. „Wenn du Gott nicht in dein Herz lässt, stirbst du“, sagt Ina am Schluss zu Grigor.

Das gilt auch für uns – schöne Grüße von Ottessa Moshfegh.

Kommentare

nicolebrk kommentierte am 05. März 2023 um 17:59

Ich finde, deine Rezension trifft es wirklich auf den Punkt!