Rezension

Wie kann man so groß werden?

Das Mensch -

Das Mensch
von Gabriele Kögl

Bewertet mit 5 Sternen

Ein kleines Dorf, irgendwo in der österreichischen Provinz. Dort wächst die zehnjährige Karla am elterlichen Bauernhof auf. Karla hört gerne Schlager, am liebsten die von Karel Gott. Der Umgangston zuhause ist grob. Ein bisschen verliebt ist sie in den Lehrer, glaubt sie. Karla gilt als schwierig, weil sie nicht immer folgt, und weil sie es nicht erträgt, wie der Vater die Sau schlachtet. Und weil der Vater nicht erträgt, dass seine Tochter, das nicht erträgt, bindet er sie am Baum fest, damit sie dabei zuschauen muss.

„Das Mensch“ ist der 1994 erschienene Debütroman der österreichischen Schriftstellerin Gabriele Kögl. Aus der kindlichen Perspektive von Karla erzählt sind wir gleich von Beginn an mittendrin in dem provinziellen Mief der beginnenden 1970er Jahre zwischen Schweinemist und Ignoranz. In Karlas Familie gibt es keine liebevollen Worte, keine Zuneigung, dafür oftmals eine Tracht Prügel. Da nimmt Karla dann schon mal den Kopf eines toten Kalbes zum Trösten.

„Ich kenn die Karla. Ihr Dadi hat das schon probiert. Er hat gesagt, die Karla lässt sich lieber erschlagen, als dass sie den Mund aufmacht. Und wenn er sie in den stockfinsteren Schweinestall sperrt, weint sie nicht einmal mehr.“

Und weil die Karla weiß, dass es auch noch schlimmer ginge, sagt sie sich, sie habe doch eh eine schöne Kindheit. Es ist ein Ort, in dem alle zuschauen, aber keiner genau hinsieht. In der kurzen dafür immens wuchtigen Geschichte blitzt einmal so etwas wie elterliche Verantwortung auf, als aus einer in der Not geborenen Lüge des Mädchens eine wahre Anklage gegen sexuellen Missbrauch herausbricht. Wie wird man nur groß, wie erwachsen, in so einem Umfeld.

Ob der Roman autobiografische Züge der in einem steirischen Dorf aufgewachsenen Autorin hat? Wir wissen es nicht. Fremdschämen möchte man sich bei so viel Lieblosigkeit, Rohheit und Missachtung und möchte einfach nicht meinen, das alles könnte so gewesen sein.