Rezension

Wer unsere Gesellschaft zusammenhält

Südstern -

Südstern
von Tim Staffel

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die Pharmakologin Vanessa lebt in Berlin mit dem Bundestagsabgeordneten Olli zusammen und jobbt in einer Kneipe. Als ihr die Aufgabe eines Kurierdienstes für besondere Substanzen samt Dienstfahrzeug angeboten wird, sind ihre Kunden Personen, ohne die unser Alltag nicht funktionieren würde. Sie alle vereint ein hohes Risiko, durch Schichtdienste und das tägliche Großstadt-Elend  früh auszubrennen. Vanessa liefert, was Schmerzen, Angst und Müdigkeit dämpft – und süchtig macht. Makaber wirkt in diesem Netz, dass der Medikamentenmissbrauch häufig eine ärztlich verordnete medikamentöse Therapie fortsetzt.

Deniz, der als Polizist nicht selten drei Schichten nacheinander arbeitet und theoretisch seinen parkinsonkranken Vater nicht allein lassen sollte, seine Partnerin im Streifendienst, der Neurologe Tobi, Vanessas Bruder Felix, der nach Jahren als Berufssoldat in Wüstenstaaten im Justizvollzugsdienst arbeitet, Oma Zuppe, die Vanessa und Felix praktisch aufgezogen hat, Fritz, der 12-Stunden-Schichten arbeitende System-Admin der Polizeibehörde, wie auch ein Politikerkollege von Olli - sie benötigen Vanessas Dienste.

Die Figuren stehen in Beziehung zueinander, ahnen jedoch nicht, dass sie fast alle Kunden von Vanessas Spezialservice sind. Deniz reibt sich zwischen Beruf und Pflege auf, aber „das System“ hat ihm und Baba nicht mehr zu geben als stundenweise eine Pflegerin - auch sie opfert sich auf. Als Deniz und Vanessa sich ineinander verlieben, stellt sich die Frage, welche Zukunft diese Beziehung haben kann - und wer am Ende die Verlierer sein werden.

Der Einstieg in den Roman wirkt durch kurze, lakonische  Aussagesätze und wechselnde Icherzähler zunächst ruppig. Die Erzählerstimmen wechseln von Absatz zu Absatz, später legen sie Tempo zu und geben den Staffelstab von Satz zu Satz weiter.

Fazit

Mit der Wahl der Figuren legt Tim Staffel in seinem Großstadtroman den Finger in die Wunde sozialer Probleme, die uns längst bewusst sind und dennoch ungelöst im Labyrinth von Politik und Verwaltung abgelegt werden. Vom Großstadt-Stress über die Verteilung und Anerkennung von Care-Arbeit bis zur mangelnden Fürsorge für ausgebrannte Helfer wird alles geboten, das auf den Nägeln brennt.