Rezension

Wenn man die guten Geschichten an einer Hand abzählen kann

Tolkiens Geschöpfe -

Tolkiens Geschöpfe
von

Bewertet mit 2 Sternen

Tolkiens Geschöpfe vereint unterschiedliche Fantasy-Erzählungen in sechs Kapiteln, unterteilt nach eben "Tolkiens Geschöpfen": Elben, Zwerge und Hobbits, aber auch Helden und Zauberer. Glücklicherweise versucht sich keiner der Autoren direkt an einer Nachahmung Tolkiens in dem von ihm erfundenen Mittelerde, sondern sie alle interpretieren diese Wesen auf ihre eigene Weise.

Ich möchte, bevor ich mit der Kritik anfange, einfach die Storys hier festhalten, die ich toll fand:
- Galadriel Island (Monika Felten): Die Geschichte war toll. Sie hatte eine gute Mischung aus Alltag und Zauber, Spannung und Auflösung. Ich konnte der Story folgen, ohne mich an unendlich vielen kryptischen Pseudohinweisen entlanghangeln zu können - einfach eintauchen und genießen.
- Das Tal Lórien (Swjatoslaw Loginow): In meinen Augen eine der besten Geschichten in diesem Band, wenn ich ehrlich bin. Die Vorstellung, es würde Elben wirklich geben - nur eben in Russland - und würden nicht über das Meer aus der Welt verschwinden, sondern in den Weltraum fand ich irgendwie... sehr berührend, besonders wie der Rückzug der Elben beschrieben wird mit ihren Gründen... Das war irgendwie philosophisch und die Geschichte kann ich mir vorstellen, noch nachzulesen.
- Der Gottesmann und der Kobold (Esther M. Friesner): Wow. Diese Geschichte war auf so vielen Ebenen rührend, verstörend, bewegend... ich hatte Gänsehaut, als ich begriff, worauf es hinausläuft und viel hätte nicht gefehlt, dass es auch Tränen geworden wären. Einfach nur wow.
- Eine Frage des Glaubens (Bernhard Hennen): Die Idee fand ich richtig genial. Hier hätte ich mir sogar ein ganzes Buch gewünscht. So konnten die Ereignisse sich natürlich nicht sooo entfalten, wie ich es gern gelesen hätte - dennoch gehört das zu den stärksten Geschichten hier im Buch. Die Welt des Klosters und der Ikuhura fand ich faszinierend...
- Platiks Bretter (Gundula Sell) - Das war vermutlich die verstörendste Geschichte im ganzen Buch. Und die, die mich am Meisten traurig gemacht hat - denn sie erzählt aus der Sicht eines Kindes, das in Mordor (?) oder an einem ähnlich bösen Ort lebt. Samt Rechtschreibfehlern und den unzureichenden Fähigkeiten eines Kindes. Und die Geschichte bohrt sich so ins Herz, dass es schmerzt.
- Die Erzählung der Frau (Ursula K. Le Guin): Ich kann nicht ohne zu spoilern erklären, wieso ich das Ding so genial fand. Aber genial war es - und schön kurz.
- Die Trollbrücke (Neil Gaiman): Ich weiß nicht, wieso. Aber diese Geschichte hat mich auf ganz besondere Art und Weise berührt. Da war eine ganze Lebensphilosophie drin verborgen.
- Der Verfolger (Marion Zimmer-Bradley): Ich mag ihre Schreibe allgemein. Diese Story hier fand ich aber auch unabhängig davon sehr gut (meine Erwartungen waren hier wieder sehr hoch) - ein ungewöhnlicher Gegner, eine ungewöhnliche Protagonistin und eine spannende Story.
- Der Zauberer Marnôt (Erik Simon): Allein dafür, dass die Geschichte vollständig in Reimen erzählt ist. Und auch noch witzig ist.
- Der Eisdrache (George R. R. Martin): Das mutet einfach wie ein sehr schönes Wintermärchen an... <3

Diese Storys fand ich persönlich eher mittelmäßig bzw. zwar ganz nett, aber jetzt nicht sooo zündend:
- Die Frau aus dem Elfenhügel (Paul Edwin Zimmer): Nett, eine schöne klassische Elfenhügel-Story. Aber nichts Besonderes/Weltbewegendes oder sonstwie herausragend. Im Prinzip einfach eine klassische Elfensage etwas ausführlicher erzählt.
- Es war einmal ein Zwerg (Henry Kuttner): Die Idee ist schon irgendwie cool... Aber die Umsetzung war an einigen Stellen dann doch etwas fragwürdig und unausgegoren. An sich fand ich das Ding aber schööön...
- Senator Bilbo (Andy Duncan): Tolle Idee. Größtenteils auch superwitzige Umsetzung. Aber da waren dann einige Stellen, die übertrieben oder einfach nicht mehr witzig oder zu klischeehaft waren - die Episode mit dem Zauberer beispielsweise fand ich irgendwie... fade. Jedenfalls für meinen Geschmack. Ansonsten aber eine ganz solide Geschichte und die Episode in der Schänke war toll.
- Aus dem Tagebuch des Orks Gyrsch (Maxim Terin): Oberes Mittelfeld. Größtenteils spannend und amüsant zu lesen, hatte aber einige Längen und irgendwann war der Witz, dass die geraubte Jungfrau Gurdrun nervig ist, irgendwann einfach aufgebraucht.
- Ein meisterliches Mahl (Markolf Hoffmann): Auch hier wird eine klassische Märchengeschichte als Grundlage genommen - die Überlistung eines Trolls durch den Menschen. Bei mir kam für keine der beiden Seiten wirklich Sympathie auf. Es war irgendwie eher langweilig.
- Die Drachen der Mitternachtsberge (S. W. Wittmann): Die Geschichte hat Potential, ist philosophisch und intelligent erzählt. Aber für eine Zuordnung zur Kategorie "toll" fehlt ein bisschen mehr Tempo, ein wenig weniger Exposé. Bei einer Kurzgeschichte will ich mich nicht im ersten Drittel der Story langweilen, wenn der Schluss zünden soll.

Wenn die Anthologie sich auf diese Geschichten plus die kurzen Erklärungen zu Tolkiens Geschöpfen, ihre Herkunft und ihre Verbreitung in der Literatur beschränkt hätte, wäre es trotzdem noch ein rundes Buch geworden, das ich schnell durchgelesen hätte. Aber die folgenden Storys machten für mich das Gesamtbild so sehr kaputt, dass ich irgendwo in der Mitte JEDER dieser einzelnen Geschichten teils wochenlange Lesepausen eingelegt habe, weil es mir zu blöd wurde.

Diese Storys fand ich nicht so gut:
- Die Erzählung des Wechselbalgs (Michael Swanwick): Vielleicht bin ich einfach zu dumm. Aber die Hälfte der Zeit habe ich nicht kapiert, was da eigentlich passiert und das was ich verstanden habe, fand ich entweder überkryptisch oder langweilig.
- Noch ehe die Rosen Dornen hatten (Tom Godwin): Die Idee von der Rache der Yucca-Bäume ist ja ganz nett. Aber die Geschichte an sich war furchtbar langweilig, zog sich und der Protagonist (der gleichzeitig der Böse ist) hat mich tierisch genervt.
- Schattenwald (Diana L. Paxson): Von der Vollenderin der Schriften von Marion Zimmer-Bradley hätte ich mir mehr erwartet. Zu lang, zu ausufernd, größtenteils langweilig und so richtig logisch fand ich die Handlung auch nicht.
- Steinhaut (John Moressy): Es ist schwer, eine Geschichte gut zu finden, wenn man den Protagonist so richtig unsympathisch findet. Es wird nicht besser dadurch, dass die zweite Hälfte der Geschichte auch noch hässlich erzählend und somit recht langatmig ist. Und das Ende hat eine sehr fragwürdige Moral.
- Drei Ellen Drachenhaut (L. Sprague de Camp): Ich fand diese Geschichte doof und langweilig. Ich glaube, irgendwo in der Mitte davon habe ich genervt kapituliert, um erstmal 10 andere Bücher zu lesen, ehe ich mich bis zum Ende dieser Story durchgebissen habe.

Ironischerweise waren die langweiligsten Geschichten auch noch größtenteils die Längsten in dieser Sammlung (oder fühlte es sich nur so an, weil mir so langweilig beim Lesen war?) und führten zu einigen Leselängen und beinahe zu einer Leseflaute.

Und eins empfand ich schlicht als unverschämt. Von Markus Heitz ist in dieser Anthologie... keine Kurzgeschichte. Klar, vermutlich haben nicht alle Autoren extra eine Geschichte für die Anthologie verfasst - weil einige der Autoren schlicht bereits tot waren - aber keiner hat einfach den PROLOG seiner neuesten Reihe reingeklatscht, samt Werbung des Verlags für die Zwergen-Reihe unter dem Text. Das vergrätzt mir eine Reihe doch ein wenig, an der ich eigentlich interessiert wäre :/.

Ironischerweise hatte ich dafür kein Problem mit "Das Ewige Feuer", was eigentlich auch "nur" ein Kapitel aus Andrzej Sapkowskis Hexerreihe war. Vielleicht, weil hinter dem Text kein "kauft auch das restliche Buch und am Besten die ganze Reihe, die auch bei uns im Verlag erschienen ist" folgt oder weil es einfach sehr, sehr ungewöhnliche Wesen und eine nicht ganz alltägliche Story war ^^.

Keine Ahnung, ob ich eine Kaufempfehlung geben soll. Vermutlich findet jemand die Storys, durch die ich mich mühevoll gekämpft habe, besonders toll, wer weiß?