Rezension

Wenn dir dein Schicksal um die Ohren geschlagen wird ...

Nacht wird es immer -

Nacht wird es immer
von Willy Vlautin

Bewertet mit 4.5 Sternen

Lynette arbeitet in mehreren Jobs und hat im Moment offenbar kaum Unterstützung bei der Betreuung ihres älteren, geistig behinderten Bruders Kenny. Zur Arbeit in der Bäckerei kann sie Kenny mitnehmen, solange ihr Chef am frühen Morgen noch nicht da ist. Später am Tag muss Kenny in Lynettes Auto schlafen. Mutter Doreen kämpft offenbar gegen ein Geflecht aus Depression, Alkoholsucht und schwindenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt aufgrund ihres Alters. Unter der psychischen und wirtschaftlichen Belastung kann die Notgemeinschaft jeden Moment zusammenbrechen. Obwohl in diesem Team niemand ausfallen darf, ist Doreen ihrer Tochter kaum eine Hilfe, die gemeinsamen Verpflichtungen auf die Reihe zu bekommen. In dieser Situation leistet sich Doreen unerwartet ein neues Auto auf Kredit, weil sie „endlich etwas für sich selbst" tun will. Lynette macht das sprachlos; denn der Plan war, ihr heruntergekommenes kleines Haus in Portland zu kaufen – natürlich auf Kredit – und selbst zu renovieren. Ein besseres Angebot als den Freundschaftspreis ihres Vermieters wird es nicht wieder geben; eine Mietwohnung können sich Doreen und Lynette erst recht nicht leisten. Doreens Autokauf erweist sich als der Funke, der die Notgemeinschaft der kleinen Familie zur Explosion bringen wird. Der Streit über den Autokredit zwingt Lynette, sich mit ihren persönlichen Finanzen auseinanderzusetzen und den Rat eines Geschäftskontakts zu suchen.

Vor Willy Vlautins Lesern entfaltet sich ein Dickicht aus illegalen Jobs, mit denen Lynette erstaunliche Ersparnisse ansammeln konnte – und das mehr als komplizierte Verhältnis zu ihrer Mutter. Jahrelange Missverständnisse kommen auf den Tisch und es entsteht das Bild einer jungen Frau, die stets als leichtes Opfer im Weg stand, wenn die sozialen Verhältnisse ihr mal wieder Schicksalsschläge wie nasse Lappen um die Ohren schlugen.

Auch wenn Doreen der Meinung ist, Lynettes Temperament wäre schon immer das Problem gewesen, sind es wohl eher ungesicherte Arbeitsverhältnisse in Frauenberufen und die fehlende Unterstützung bei der Betreuung eines erwachsenen Behinderten. Lynettes Schicksal wird eher schlicht erzählt, Spannung entwickelt sich aus den Verwicklungen, in die sie sich verstrickt - mit allen Problemen allein gelassen.