Rezension

Was verwaisten Vätern/Eltern hilft

Anleitung zum Traurigsein -

Anleitung zum Traurigsein
von Berni Mayer

Bewertet mit 5 Sternen

Als 2019 Berni Mayers Tochter Olivia an einem Hirntumor stirbt, findet der Autor sich in einem dichten Bündel von Problemen. Das erste Kind des Elternpaars war 10 Jahre zuvor tot zur Welt gekommen; so dass sie zum zweiten Mal zu „verwaisten Eltern“ geworden sind. Die Beziehung hatte schon vor Olivias Erkrankung gekriselt, so dass Mayer nun getrennt lebender, trauernder Vater mit geteiltem Sorgerecht für den älteren Sohn Ludwig ist, dazu Freiberufler und ein Mann von Mitte 40, der sich dringend um seine eigene Gesundheit kümmern muss. In diese Situation grätscht 2020 die Corona-Pandemie, die vielen Menschen in Lebenskrisen den Zugang zu Unterstützer-Strukturen abschneidet. Die Schilderung seines persönlichen Trauerprozesses ergänzt Berni Mayer u. a. um seine Auseinandersetzung mit Positionen der Trauerliteratur (Kübler-Ross, Kast, Bucay ). Hier hatte ich den Eindruck, dass Literatur zur Trauerbewältigung im Zeitalter Sozialer Medien tatsächlich neu geschrieben werden muss.

Keine Theorie, keine Tipps, lautet Mayers Motto für das gesamte Buch. Menschen in Lebenskrisen werden gern zur Zielscheibe von Ratschlägen, die schnell gesagt und schwer umzusetzen sind. Mayers strukturierte Darstellung seiner Wege, die Trauer um Olivia in den Alltag zu integrieren, lassen sich dagegen wie ein empathischer Ratgeber-Teil eines Betroffenen lesen über Versuche, Zweifel und Erfolge.

Herausragend waren für mich neben Medikation, Sport, Meditation und Ernährung die Punkte Psychotherapie und Selbsthilfegruppe, weil sie auch andere Menschen in Lebenskrisen betreffen und ich mich in Mayers Zweifel und Erlebnisse gut einfühlen konnte. Die dringende Empfehlung, sich als verwaiste Eltern professionelle Hilfe zu suchen, setzt bei Olivias Vater Zweifel in Gang, ob er in einer Therapie sein verschlungenes Problemknäuel tatsächlich aufknüpfen sollte und ob Therapie generell seine Rückkehr aus einer geschützten Blase nur erschweren würde. Die Überlegung sich einer Trauergruppe anzuschließen lässt ihn daran zweifeln, ob er dem Leid anderer Menschen bereits gewachsen ist. Tatsächlich waren beide Wege steinig, enthielten aber andere Steine als die erwarteten.

Berni Mayers autobiographischer Bericht lässt sich flüssig lesen und kann für verwaiste Eltern hilfreich sein, um ihre Empathiefähigkeit für andere Familienmitglieder (Geschwisterkinder, Großeltern) zu stärken, mit der eigenen Kränkbarkeit umzugehen und wieder für sich selbst zu sorgen. Das unterstützende Umfeld kann hier u. a. lernen mit „Du solltest …“-Sätzen sparsam umzugehen oder warum man Trauernden nicht versprechen sollte „Ich bin immer für dich/euch da“.

Generell empfehle ich Erlebnisberichte über Lebenskrisen ungern, weil fremdes Leid für Betroffene eine zu große Last sein kann. Berni Mayers Buch als Kombination aus Erlebtem und „Was mir geholfen hat“ ist jedoch ein seltener Glücksfall, weil er Wege aufzeigt, die allerdings Jahre oder ein ganzes Leben dauern können. Besonders empfohlen für verwaiste Väter, aber auch für Angehörige und die Unterstützerszene Trauernder.