Rezension

Verstörend faszinierend

Die Vegetarierin
von Han Kang

Bewertet mit 4 Sternen

Es fällt mir schwer, etwas über dieses Buch zu sagen. Vermutlich weil ich nicht so recht weiß, was ich denken soll. Es ist verstörend, alptraumhaft aber auch irgendwie faszinierend. 

Bis Yong-Hye plötzlich beschließt, Vegetarierin zu sein, war sie eine ganz normale Hausfrau. Ihre Familie versteht ihr Verhalten nicht, zumal ihre einzige Erklärung ist: „Ich hatte einen Traum.“ 
Mit der Zeit wird sie sogar noch eigenartiger, spricht kaum, wirft bei Sonnenschein ihre Kleidung ab und wäre gerne eine Pflanze. 

Lange hat man keine Idee, was nur mit ihr los ist. Ist sie tatsächlich verrückt, oder kommt sie einem nur verrückt vor, weil ihr fantasieloser, konservativer Ehemann über sie berichtet? Ihr Schwager, ein Künstler, findet sie faszinierend, deutlich faszinierender als seine eigene Frau, Yong-Hyes Schwester. 
Yong-Hye selbst kommt nie zu Wort. Man erfährt ihre Geschichte aus Sicht ihres Ehemanns, ihres Schwagers und ihrer Schwester und die sind auch auf Mutmaßungen angewiesen, interpretieren die Situation aus ihrer Sicht. 

Endgültig verstörend wird es, wenn Yong-Hyes Schwager meint, seine künstlerische Schaffenskrise zu beenden, indem er seine sexuelle Obsession in einen Film darstellen möchte mit Yong-Hye als Hauptdarstellerin. Hier wird das Geschehen geradezu bizarr. Man fragt sich, nutzt jetzt ein Irrer die Hilflosigkeit einer verwirrten Seele aus oder finden sich gerade zwei Außenseiter, die nicht in die gesellschaftliche Norm passen. Dieser Teil der Geschichte ist auf obszöne Art poetisch, fasziniert und befremdet gleichzeitig. 
  
Am Ende hat man mehr Fragen als Antworten. Was war das jetzt? Kritik an koreanischen Gesellschaftsstrukturen? Ein Appell zur Selbstbestimmung über seinen Körper? Muss man leben, wenn man nicht leben möchte? Ein Aufruf zur Akzeptanz alternativer Lebensmodelle? Genauso gut könnte man es als Kritik daran verstehen.  

Dieses Buch ist mit Sicherheit besonders. Es beeindruckt, verstört aber auch zutiefst. Es ist ein trauriges Buch, das viel Raum für Interpretationen lässt, das man aber auch mit einigem Recht als absurd verdammen könnte. Ich scheue mich gerade, da ein endgültiges Urteil zu fällen. 
Lest es selbst. 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 20. Februar 2017 um 16:13

Hm, hm. Das muss ich dann wohl.

Steve Kaminski kommentierte am 16. April 2017 um 09:33

Eine interessante Rezi! Ich habe mal in der FR eine positive Besprechung gelesen - es war mir aber nicht klar, dass die Frau selbst gar nicht "spricht". Das Buch wird mir regelmäßig im Programm der Büchergilde vor die Nase gehalten... Vielleicht bestelle ich es doch mal.