Rezension

Tess Gunty ist eine geradezu bedrückend talentierte Schriftstellerin

Der Kaninchenstall -

Der Kaninchenstall
von Tess Gunty

Bewertet mit 5 Sternen

Mit „Kaninchenstall“ hat KiWi einen unerwarteten? Volltreffer gelandet. Und mit Tess Gunty und Sophie Zeitz, geniale Autorin und perfekte Übersetzung. Es ist schier unglaublich was der 30jährigen Gunty mit ihrem Erstlingswerk gelungen ist: „The Rabbit Hutch“ (im englischen Original), ein atemberaubender Roman.

Apartment C4, Vacca Vale, Indiana: Gunty hat kein Erbarmen mit den Lesern; (eine) Blandine Watkins liegt aufgeschlitzt am Boden. In dieser heißen Nacht verlässt Blandine ihren Körper: „Sie ist nicht alles. Nicht ganz. Sie ist nur das Gegenteil von nichts.“ Es folgen noch über 400 Seiten, auf denen wir mehr über den Hauptcharakter des Romans erfahren und „wie es dazu kam und wer sie aufgeschlitzt hat“. Vacca Vale ist eine fiktive Stadt in Indiana, ähnlich vieler Städte im Rust Belt wie South Bend, wo Gunty aufwuchs.

„Der Kaninchenstall“, im La Lapinière Affordable Housing Complex, einem abgewrackten Gebäudekomplex mit zu dünnen Wänden; jeder hört jeden, aber niemand kennt seine Mitbewohner. Joan in C2: Checkt die Nachrufe ihrer Firma RIP auf respektlose, um sie dann zu löschen. C4: Drei Teenager-Burschen - vor Kurzem aus dem staatlichen Pflegesystem entlassen -, die aus Langeweile Tiere töten und mit denen sich unsere Blandine das Apartment teilt. Wird das spannend! C6 Ida und Reggie, altes Ehepaar.

C8 Hope, die unter einer postnatalen Depression zu leiden scheint und panische Angst vor den Augen ihres Neugeborenen hat. Gibt es Hoffnung für Hope? Ehemann Anthony liebt Hope, sollte ihr Hoffnung geben.

In Teil II, von insgesamt fünf, hat mich emotional am meisten das Kapitel Variablen berührt. Tiffany Watkins, hochintelligente siebzehnjährige Schülerin der St. Philomena Highschool, Haare gebleicht, ätherischer Teint, hübsch auf eine außerirdische Art mit weit auseinanderstehenden Augen. In diesem Augenblick assoziiere ich Tiffany mit Tess Gunty – autobiographisch? Sie ist das X und der vierzigjähriger James Yager, ihr Musiklehrer und Mentor das Y. Nach „dieser Nacht“ wird Tiffany zu Blandine.

Vor 10 Monaten in „Die Flut“ liegen Hop und Anthony in einem Motel-Bett, September, Hochwasser, der Vacca Vale River hat die Innenstadt überflutet, aus dem Kaninchenstall zwangsevakuiert. „Zeig mir, was du willst“ sagt Anthony. Hochemotional zu lesen.

Gunty bearbeitet eine Fülle an Themen, die Diskrepanz zwischen Arm und Reich, Verfall und Neubeginn, Rebellion gegen das kapitalistische System, die Abgründe der digitalen Welt: „Im Internet toben sich die Raubtiere aus“ und den irrealen „Mamablogs“.

Der Roman ist ein Feuerwerk, verwirrend, aber auch beeindruckend. Wegen der wechselnden Erzählperspektiven verlangt er volle Konzentration, es ist kein Buch zum Nebenbei-Lesen. Ich habe es jedenfalls genossen, für die Rezension Teile des Buches nochmals zu lesen.