Rezension

Teil 1 ist gut

Der leuchtend blaue Faden - Anne Tyler

Der leuchtend blaue Faden
von Anne Tyler

Bewertet mit 3 Sternen

Ein Haus ist ein Haus ist ein Haus

'Der leuchtend blaue Faden' v. Anne Tyler (erschienen 2015/die Autorin 74jährig) war eine Zufalls-Mitnahme. Die Thematik hat mich interessiert: 'Anne Tyler schaut tief in die Seele ihrer Figuren, entlarvt deren Sehnsüchte und seziert die familiären Beziehungen, wie nur sie es kann'(vorderer Einband), v.a. die familiären Beziehungen.

Die Story beginnt im Jahr 1994 mit dem Ehepaar Red(cliff) und Abby Whitshank, die sich kennen, seit sie 12 Jahre alt waren. Sie haben vier Kinder Amanda, Jeannie, Stem (Douglas) und Denny. (Dennis) Am Telefon outet sich der 19jährige Denny gegenüber seinen Eltern als schwul.

Der Roman besteht aus 4 Teilen. Das Cover ist relativ unscheinbar.

Die Story ist leicht zu lesen, die Sprache relativ kolloquial bis streckenweise antiquiert 'Am Fuß der Eingangstreppe hieß er sie warten' (351) und ''Junior hatte keine Ahnung, wo er anfangen sollte, sich dagegen zu verwahren'(387). Es gibt ein paar grammatikalische Fehler und der Genitiv wird vollkommen ignoriert. Tyler hat in ihren Text ein paar Metaphern eingewoben, diese sind allerdings nicht besonders tiefschürfend. Auch im Jahr 2015 verwendet Tyler noch das N-Wort (289) und die Bezeichnung 'Weiber' für Frauen gefällt mir nicht besonders, da wir uns ja nicht mehr im Jahr 1915 befinden.

Der erste Teil legt den Fokus auf Denny, mit dem es immer wieder schwierig ist, er scheint unzuverlässig und flüchtig, er bricht sein Studium ab, die Eltern schicken ihn in Therapie und er landet in einem Internat für schwer erziehbare Jugendliche. 1997 heiratet Denny (22) Carla, wird 'Vater' der kleinen Susan. Red und Abby schieben sich für die familiären Entwicklungen gegenseitig die Schuld in der Schuhe und schon hier werden Familientabus, Hilflosigkeit und Kommunikationsschwierigkeiten deutlich:'Ein junger Mann verkündet, dass er schwul ist, und seine Familie macht einfach weiter wie bisher und tut so, als wüsste sie von nichts'(16). Hier ist die Familie Whitshank sicher kein Einzelfall ('vielleicht war es ein weiterer Beweis, dass die Whitshanks in keinster Weise bemerkenswert waren'(76), wie oft wird in Familien weggeschaut, aus Hilflosigkeit. Andere Familien scheinen Denny besser zu kennen als seine Eltern selbst. Er hält sich mehr in anderen Familien auf als in seiner eigenen. Und da ich solches selbst erlebt habe, hat mich Teil 1 von Anfang an gefangen genommen, inhaltlich. Stems Geschichte erfährt der Leser erst viel später. Der Leser wird bereits in Teil 1 mit Red und Abby alt, mit all den Gedanken und Befürchtungen, die solch eine Lebensphase mit sich bringt. Zwischen Stem und Denny brechen plötzlich lang schwelende Konflikte auf, so wie es häufig in Familien passiert (…).

Was Teil 1 betrifft, würde ich den positiven Kritiken auf der Rückseite des Einbandes unumwunden zustimmen. Aber Teil 1 endet auf leider auf Seite 276 von 446 Seiten.

Dann kommt es zum Bruch. Was Tyler sicher als Rückblende in das Jahr 1959 gedacht hat, misslingt aus meiner Warte. Denn für uns ist Abby bereits tot und beerdigt. So muss ich zugeben, dass das Ganze verwirrt und dass ich mich dann auch ab Teil 2 bis inklusive Teil 3 gelangweilt habe. Der Leser wird aus seiner in Teil 1 bereits gelungenen Involvierung unsanft herausgeworfen. Er muss sich umstellen. Zeitreise, viele neue Menschen tauchen auf. Was das Haus angeht und die ganzen Beschreibungen, die sich durch den ganzen Roman ziehen, ist mir Tyler einfach zu detail-verliebt.

Ich hätte die Teile anders aufgebaut, um den Spannungsbogen zu erhalten, so bekommt der Roman von mir – wegen des 1. Teiles – insgesamt nur 3 Sterne. Und irgendwie gibt es auch keine wirkliche Verhaltensänderung bis zum Schluss 'Einfach vorgeben, nichts zu bemerken' (446).