Rezension

Sie können ihre Taten verdrängen, aber nicht vergessen

Ein letzter Sommer in Méjean - Cay Rademacher

Ein letzter Sommer in Méjean
von Cay Rademacher

Bewertet mit 5 Sternen

Sechs Freunde verbringen nach ihrem Abitur 1984 einen Sommer in Mejéan nördlich von Marseille. Am Ende ist Michael tot, dessen Eltern das Ferienhaus an der Côte Bleue gehörte. Der Fall wird nie aufgeklärt und die restlichen fünf Urlauber kehren nie wieder in den Ort zurück - als könnten sie den Todesfall ungeschehen machen, indem sie einfach die Augen schließen. 30 Jahre später wird jeder der Fünf durch einen anonymen Brief nach Mejéan bestellt – und alle reisen an. Die Ministerin Claudia, Dorothea, heute Ehefrau eines Geschichtsprofessors, der ungeheuer erfolgreiche Maler Rüdiger und das Ehepaar Barbara und Detlef. Alle haben inzwischen Karriere gemacht und offenbar viel zu verlieren. Da auch die Polizei in Marseille informiert wurde, reist  als Ermittler Marc-Antoine Renard aus Marseille an. Renard bekommt die Ermittlungen als Integrationsmaßnahme nach seiner schweren Krebserkrankung übertragen und weil seine Deutschkenntnisse gebraucht werden.

In Mejéan betreibt seit damals noch immer Serge das Restaurant Le Mange Tout und wie vor 30 Jahren fährt Henri zum Fischen raus. Selbst das Arztehepaar Norailles samt erwachsener Tochter  lebt inzwischen als Rentner dauerhaft auf dem Nachbargrundstück. Der Aufenthalt der Fünf soll offenbar unter den Augen der - an den Ereignissen beteiligten - Einheimischen die Dinge eskalieren lassen und  den Täter bloßstellen. Nicht nur die ehemaligen Schulfreunde belauern sich gegenseitig, sondern ebenso die Deutschen und die Einheimischen, der Ermittler und seine zu befragenden Zeugen. Wie ein Fuchs lauert der Fuchs solange, bis er jeden Beteiligten einzeln antrifft und zum Reden bringen kann. So entsteht wie von selbst auch ein facettenreiches Bild des toten Michael. Eifersucht, Neid, Konkurrenz, bis heute unterdrückte Wut - Renard wird bei seinen Ermittlungen ein Bündel an möglichen Motiven geboten. Er hakt beim Verhältnis der Norailles zu der Abiturientengruppe ein. Alle viel jünger als das Arztpaar und dazu Ausländer, schon damals muss das  eine sonderbare Verbindung gewesen sein. Bis zur Auflösung des Falls sind zunächst eine Reihe falscher Fährten auszuschließen und der angeschlagene Renard gerät bald an seine körperlichen Grenzen.

„Ein letzter Sommer in Méjean“  bietet einen verführerischen Schauplatz mit Meerblick. Cay Rademacher vermittelt die Atmosphäre so sinnlich, dass ich am liebsten gleich die Koffer packen würde. Mit den Träumen und den tatsächlichen Lebenswegen der Abiturienten porträtiert er zugleich eine Generation und das Jahrzehnt, in dem sie erwachsen wurde. Walkman und Polaroid-Kamera als typische Artefakte und  die mitlaufende Tonspur der Pop-Musik der 80er tragen das Porträt tatkräftig mit. Nicht alle Ereignisse wirken durchdacht. So hab ich mich natürlich gefragt, was jemand nachts mit einer Polaroid-Kamera am Strand will und welchem Zeugen diese eigenartige Behauptung wohl den Hals brechen wird.

Atmosphärisch ein gelungener Krimi mit verzwicktem Plot, der zugleich aufblättert, zu welchen Persönlichkeiten sich die Schüler von damals entwickelt haben.

Kommentare

Brocéliande kommentierte am 29. Mai 2019 um 23:46

danke für die tolle Rezi, Buchdoktor! Könnte absolut was für mich sein ;) und kommt auf die Merkliste!