Rezension

Sehnsucht nach mehr

Nächsten Sommer
von Edgar Rai

Bewertet mit 3.5 Sternen

Es ist Anfang Mai 2021 und die Außentemperatur steigt nicht über zehn Grad. Da kann man sich doch nur irgendwohin wünschen, wo das Wetter einen nach draußen lockt! Ich habe mit diesem Buch das richtige Trostpflaster gefunden. Schon die ersten Seiten zogen mich an:

„Es ist der erste richtig warme Tag dieses Jahres. Gestern war noch Winter, eine Ahnung von Frühling im Gepäck. Heute ist alles anders. Als würde man über LOS gehen und nochmal von vorn beginnen.“ (Seite 7)

Felix wohnt in Berlin in einem Bauwagen, seit er zu Hause ausgezogen ist. Und nun erreicht ihn die Nachricht, dass er von seinem Onkel ein Haus in Südfrankreich geerbt hat. Gemeinsam mit seinen Jugendfreunden kommt die Idee auf, es sofort zu begutachten. Marc stellt seinen alten VW-Bus zur Verfügung und Bernhard lässt sich überreden mitzufahren, weil sein Schwarm Zoe auch dabei sein will. Es sind recht unterschiedliche Typen, die sich hier zusammen auf die Reise machen.

Der Autor hat seine Idee in einem mitreißenden Schreibstil verpackt, der mich so manchmal herzhaft auflachen ließ. Schon bald hatte ich das Gefühl, selbst das Klappern des lockeren Auspuffs zu hören und mich an den Gesprächen zu beteiligen. Nach und nach lernte ich die Macken der Mitreisenden kennen und konnte mir ein gutes Bild von ihnen machen.

Marc ist Musiker durch und durch, Felix ein verkapptes Mathegenie ohne Abitur und Bernhard kümmert sich liebevoll um seine kranke Mutter, die in einem Heim lebt und kaum noch auf ihn reagiert. Zoe lässt sich erst in Genf vom Flugplatz abholen, weil sie mal wieder auf die leeren Versprechen ihres Chefs hereingefallen war, der sich doch nie von seiner Familie trennen würde. Die selbstbewusste Anhalterin Lilith ergänzt die illustre Gesellschaft, die so einige Schwierigkeiten auf dem Weg zu meistern zu hat.

Das Buch hat mich weitgehend gut unterhalten. Einzig der zweite gemeinsame Abend war mir etwas zu abgefahren. Da hat der Autor in meinen Augen zu sehr übertrieben, weshalb ich um einen Punkteabzug nicht herum komme.

Aber wenn man sich seine Vita anschaut, hat er wohl nicht zu sehr geflunkert. Bei Rowohlt habe ich folgendes über ihn gefunden: Edgar Rai, geboren 1967, wurde mehrerer Schulen verwiesen, ging ein Jahr nach Amerika und studierte Musikwissenschaften und Anglistik in Marburg und Berlin. Er arbeitete unter anderem als Drehbuchautor, Basketballtrainer, Chorleiter, Handwerker und Onlineredakteur. Seit 2001 ist er freier Schriftsteller und hat mehrere Romane veröffentlicht. Edgar Rai hat drei Kinder und lebt in Berlin.