Rezension

Persiflage...

Ein Sommer in Niendorf -

Ein Sommer in Niendorf
von Heinz Strunk

Bewertet mit 2.5 Sternen

Ein zynischer Misanthrop ist der Ich-Erzähler, ein unsympathischer Protagonist in der Midlifecrisis mit Hang zum Alkohol. Derbzotig, schräg.

Ein bürgerlicher Held, ein Jurist und Schriftsteller namens Roth, begibt sich für eine längere Auszeit nach Niendorf: Er will ein wichtiges Buch schreiben, eine Abrechnung mit seiner Familie. Am mit Bedacht gewählten Ort – im kleinbürgerlichen Ostseebad wird er seinesgleichen nicht so leicht über den Weg laufen – gerät er aber bald in die Fänge eines trotz seiner penetranten Banalität dämonischen Geists: ein Strandkorbverleiher, der Mann ist außerdem Besitzer des örtlichen Spirituosengeschäfts. Aus Befremden und Belästigtsein wird nach und nach Zufallsgemeinschaft und irgendwann Notwendigkeit. Als Dritte stößt die Freundin des Schnapshändlers hinzu, in jeder Hinsicht eine Nicht-Traumfrau – eigentlich. Und am Ende dieser Sommergeschichte ist Roth seiner alten Welt komplett abhandengekommen, ist er ein ganz anderer… (Klappentext)

Protagonist des Romans ist der 51jährige Georg Roth, der sich ein Sabbatical von drei Monaten genehmigt, bevor er seine neue Arbeiststelle antritt. Er hat sich bewusst für Niendorf entschieden, um dort in Ruhe an einem Buch zu arbeiten, das er schon lange schreiben wollte. Eine besondere Familiengeschichte, in der er rücksichtslos mit seinen Vorfahren abrechnen will. Im Gepäck hat er über vierzig Tonbandaufnahmen seines mittlerweile verstorbenen Vaters.

Roth hat sich ein Appartment gemietet, der Ostsee-Strand ist nahe, die Idee von disziplinierter Arbeit und Entspannung zugleich könnte aufgehen. Wenn er denn der Typ wäre, der sich gerne entspannt. Durch Fleiß und Disziplin war er bisher in seinem Beruf erfolgreich, und es fällt ihm daher schwer, diese Attribute einfach so abzulegen. Allerdings geht es mit dem Schreiben nicht so recht voran, es will zunächst nichts Überzeugendes gelingen.

Genervt ist Roth von dem Verwalter der Appartments in seinem Haus, der ihn immer wieder kontaktiert und damit häufig genug um seine Konzentration bringt. Der schwergewichtige Markus Breda ist zudem nicht nur der Appartment-Verwalter, sondern zugleich auch Strandkorbvermieter und Spirituosenladeninhaber. Und gleichzeitg heimlich sein eigener und bester Kunde. Und freigiebig obendrein. Da etwas Entspannung nicht schaden kann, lässt sich Roth imner wieder auf Treffen mit dem Verwalter ein und damit auf die gemeinsamen Besäufnisse. Das männliche Elend nimmt seinen Lauf...

„Er tritt in etwas und ist sich sicher, dass es Aas war, obwohl er noch nie in Aas getreten ist. Er stolpert, fängt sich mit einer Hand ab, greift in etwas Weiches, Feuchtes; die Hand rutscht ab, und er schlägt mit voller Wucht aufs Gesicht.“

 

'Das neue Buch von Heinz Strunk erzählt eine Art norddeutsches «Tod in Venedig», nur sind die Verlockungen weniger feiner Art als seinerzeit beim Kollegen aus Lübeck.' - So steht es ebenfalls im Klappentext. Tatsächlich musste ich aber eher an Guildo Horn seinerzeit beim Eurovision Song Contest ('Guiildo hat euch lieb') denken. Allenfalls kann Strunks eigenwillige "Neuinterpretation" als Persiflage von Thomas Manns Novelle (die Tragödie einer Entwürdigung) herhalten. Um eine Entwürdigung handelt es sich bei dem midlifecrisisgebeutelten "Helden" in Niendorf unbestritten auch, aber literarisch hinkt der Vergleich definitiv gewaltig.

Ein Unsympath ist dieser Roth, ein zynischer Misanthrop, der gedanklich kein gutes Haar an irgendjemandem lässt und an allen Begegnungen nur Widerwärtiges herausstreicht. Möchtegern-geil und pseudopotent säuft er sich durch die Tage und hält mit seiner scharfzüngigen Verachtung gegenüber jedermann (und jederfrau) nicht hinterm Berg. Der Schreibstil ist oft derbzotig, und ein gewisses Vergnügen an der Schilderung ekeliger Szenen muss man Heinz Strunk wohl auch attestieren.

Dieser Roman ist auf der diesjährigen Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet (immerhin aber nicht auf der Shortlist). Manchmal staune ich nur.

 

© Parden