Rezension

Nur der zynisch-resignierte Detektiv blickt durch...

Die kleine Schwester -

Die kleine Schwester
von Raymond Chandler

Bewertet mit 2.5 Sternen

Mein erster Hardboiled Philip Marlowe Krimi wird wohl auch mein letzter sein. Wirr, nur der zynisch-resignierte Detektiv blickt durch.

Orfamay Quest kommt aus der Provinz nach Los Angeles. Sie sorgt sich um ihren vermissten Bruder. Das ist die Version, die sie Privatdetektiv Philip Marlowe auftischt. Die Spur führt hinter die Kulissen von Hollywood, wo Orfamays große Schwester ein Leinwandstar ist. Marlowe gerät in eine Welt aus Gangstern und Glamour, Cops und Fedoras. Ein Meisterwerk mit wunderbarster Film-noir-Atmosphäre. Und gleichzeitig eine gnadenlose Entlarvung der Traumfabrik. 

Einen Raymond Chandler wollte ich immer schon einmal lesen - wer hat denn noch nie etwas gehört von dem berühmten Philip Marlowe, dem Privatdetektiv, der die schwierigsten Fälle löst? Noch dazu wo Chandler als einer der Väter des Kriminalromans gilt und selbst heute noch von Autoren so empfunden wird?

Nun ja. In der Leserunde, in der ich diese neu aufgelegte Folge der Reihe um Philip Marlowe lesen durfte (sie stammt aus dem Jahr 1949), bekam ich mit, dass 'Die kleine Schwester' wohl nicht der beste / einfachste Band Chandlers sein soll. Aber er war nun einmal mein erster und damit wohl auch gleichzeitig mein letzter Krimi dieses Autors.

Ganz eindeutig ist, dass man diesen Krimi im Zusammenhang mit seiner zeitlichen Entstehung lesen muss. Chandler lässt seinen resignierten, zynischen Detective durch das Hollywood der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts streifen und gewährt dabei einen gnadenlosen Blick auf die schöne Scheinwelt. Was hinter den Kulissen läuft, kann Marlowe nicht schockieren, bestärkt ihn aber in seiner Haltung, von allen stets nur das Schlechteste zu erwarten.

Definitiv gilt hier von Anfang an, dass nichts ist was es zu sein scheint, einschließlich der mysteriösen Auftraggeberin, die Marlowe bittet, ihren verschollenen Bruder zu finden. Der Privatdetektiv hat zwar stets den richtigen Riecher, stochert anfangs aber ebenso im Dunkeln herum wie der Leser. Dabei blieb es für mich durchgehend verwirrend, und auch die Dialoge emfpand ich meistensteils als anstrengend, weil hier ständig etwas gesagt wird, das sich spätestens zwei Sätze später genau ins Gegenteil verkehrt. Allein Marlowe blickt am Ende durch und präsentiert seine Erkenntnisse auf die ihm übliche lakonische Art.

Der Ich-Erzähler Marlowe ist der Inbegriff des Hardboiled Detectivs, er raucht, trinkt Whisky, hat bei jeder Frau ein Stein im Brett, macht sich nichts mehr vor, und erscheint als einsamer Wolf mit moralischen Prinzipien, wobei diese nicht zwangsläufig mit dem Gesetz konform gehen müssen. Als Figur interessant angelegt,  trotzdem wurde ich damit nicht warm. Abgesehen von der zentralen Figur bleiben die anderen Charaktere sehr an der Oberfläche und bedienen in vielen Fällen gewollt Klischees.

Chandler schreibt oft in einfachen Sätzen, weist dabei aber einen ganz eigenen Schreibstil auf. Ungewöhnliche bis verwirrende Metaphern ziehen sich durch den gesamten Kriminalroman - so z.B.:

 

"...sandfarbene Haare und eine Nase wie ein vom öffentlichen Nahverkehr geschärfter Ellbogen"

 

Der letzte Abschnitt mit Marlowes Erläuterungen zum Fall und zu seinen Erkenntnissen haben hier gemeinsam mit dem interessanten Nachwort den dritten Stern gerettet. Über große Strecken jedoch habe ich die Lektüre einfach nur als anstrengend empfunden, wodurch ich zwischenzeitlich nahezu das Interesse am Weiterlesen verlor.

Alles in allem ein interessanter Ausflug in frühere Welten, aber Philip Marlowe und ich werden wohl keine Freunde mehr. Verdienste um das Genre des Kriminalromans hin oder her...

 

© Parden