Rezension

Not to blame...

Blame - Simon Mayo

Blame
von Simon Mayo

Bewertet mit 3 Sternen

"Heritage crime", übersetzt etwa "Erbverbrechen": 
Für ein Verbrechen haftet nicht mehr nur der Täter selber, sondern in Sippenhaft auch seine Erben bis in die zweite Generation. Dafür gibt es spezielle "Familiengefängnisse", in denen durchaus auch kleine Kinder gefangen gehalten werden, denn die Öffentlichkeit will Sündenböcke sehen für die schlechte Wirtschaftslage. Die Begründung ist, dass die Nachfahren von Verbrechern indirekt auch von den Verbrechen profitiert haben und daher auch dafür zahlen müssen.

Simon Mayo bietet in "Blame" großartige Ideen und brisante Themen, die interessante moralische und ethische Fragen aufwerfen: Die Tendenz des Menschen, stets nach einem Sündenbock für die eigene Schwierigkeiten zu suchen, die Tendenz der Politik, das wiederum für Wahlkampfzwecke auszunutzen, die Macht der Medien und vieles mehr. 

Leider geht das Buch bei den meisten dieser Themen nicht in die Tiefe, denn ab einem gewissen Punkt der Geschichte muss die Handlung immer mehr hinter schierer, explosiver Action zurückstecken - Gefängnisrevolten, Kämpfe, wilde Fluchten, gefolgt von mehr Kämpfen... 

Dadurch war das Buch in meinen Augen zwar ein kurzweiliges Vergnügen und las sich durchweg spannend - ich hätte es aber lieber gesehen, wenn der Autor das Tempo auch mal runter gefahren und dem Leser stattdessen diese dystopische Zukunft mit ihren politischen und gesellschaftlichen Strukturen näher gebracht hätte, mit wesentlich mehr Details.

Außerdem gibt es in meinen Augen ein paar gravierende Lücken und logische Fehler! Zum Beispiel ist es für Insassen anscheinend überhaupt gar kein Problem, frei auf ihre Bankkonten zuzugreifen, um die Wachen großzügig zu bestechen. (Wobei die Wachen bei dem Ausmaß, wie es hier beschrieben wird, inzwischen alle stinkreich sein müssten.) Oder ein Wachmann des Gefängnisses, in dem die Protagonistin sitzt, kennt einfach so das enorm wichtige Geheimnis eines enorm wichtigen Mannes - aber woher? Keine Ahnung, denn das wird nicht näher erklärt!

Manchmal hatte ich das Gefühl, die Action soll auch davon ablenken, dass nicht alles perfekt durchdacht ist...?

Die Charaktere fand ich überwiegend ganz gut geschrieben, auch wenn ein paar durch das schiere Tempo der Geschichte etwas blass bleiben.

Ant ist eine zornige junge Frau, die auf fast alles mit kämpferischem Eigensinn reagiert - was ich in ihrer Situation gut nachvollziehen konnte!

Ihre Beziehung zu ihrem kleinen Bruder Mattie ist unglaublich rührend. Die beiden sind in schwierigen Verhältnissen großgeworden, mit einem kriminellen, prügelnden, drogensüchtigen Vater (dem sie es auch zu verdanken haben, dass sie im Gefängnis sitzen) und einer Mutter, die jede Gegenwehr aufgegeben hat. Deswegen haben sie immer nur einander gehabt, und Ant hat für Mattie fast schon eine Mutterrolle eingenommen. 

Interessant fand ich auch, dass wir mit Ant und Mattie zwei Protagonisten begegnen, die einmal nicht aus der weißen Mittelschicht kommen, sondern deren Wurzeln in der haitianischen Kultur liegen.

Was mich enorm gestört hat: Ant ist immer wieder wahnsinnig wichtig, auf eine Art und Weise, die ich oft maßlos überzogen fand. Die Begründung dafür kam mir meist etwas fadenscheinig vor. Es ist schwierig, zu erklären, was ich damit meine, ohne schon zu viel zu verraten! Deswegen hier nur ein Beispiel, das ich so schwammig wie irgend möglich formuliere:

Inhaftierte Mitglieder einer Gang sind nach einer blutigen Revolte in der Position, Forderungen stellen zu können, da sie auch wichtige Geißeln in ihrer Gewalt haben. Statt besserer Haftbedingungen oder Freilassung ist ihre einzige (!!) Forderung, dass man ihnen Ant ausliefert - nur weil die sich mit einem Mitglied angelegt hat, das dabei noch nicht mal wirklich zu Schaden gekommen ist. Wirklich? Todesopfer auf beiden Seiten, ein enormes Polizeiaufgebot, und sie sagen (beinahe buchstäblich): gebt uns Ant, dann vergessen wir das alles und gehen brav zurück in unsere Zellen?!

Der Schreibstil hat mir im Großen und Ganzen gut gefallen, nur die Dialoge lasen sich für mich gelegentlich etwas holprig. Meiner Meinung nach schreibt Simon Mayo großartige Actionszenen, aber in den ruhigeren Szenen erreicht er nicht ganz die gleiche Qualität.

Es gibt eine eher halbherzige Liebesgeschichte, die auf mich etwas aufgesetzt wirkte - das hätte für mich nicht unbedingt sein müssen, stört aber meines Erachtens auch nicht.

Fazit:
HINWEIS: bisher gibt es das Buch nur auf Englisch!

Die Grundidee hat viel Potential: in naher Zukunft führen viele Länder das sogenannte "Erbverbrechen" ein, was eigentlich nur bedeutet, dass bis zu zwei Generationen für die Sünden ihrer Vorfahren büßen müssen. Ganze Familien werden in spezielle Gefängnisse gesteckt, und so landen auch die 16-jährige Ant und ihr kleiner Bruder Mattie hinter Gittern.

Eine originelle Idee, die viel Stoff für interessante Diskussionen liefert! Die Umsetzung konnte mich aber nicht ganz überzeugen, denn das Buch strotzt nur so vor Action, während die Handlung manchmal eher dünn ist...  Deswegen liest es sich zwar spannend und unterhaltsam, bietet aber weit weniger Tiefgang, als ich mir gewünscht hätte.