Rezension

No und ich, ich und No

No und ich - Delphine de Vigan

No und ich
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 4 Sternen

Die dreizehnjährige Lou ist nicht nur Protagonistin des Buches, sondern zugleich Ich-Erzählerin. Mir als Leser ist sie sofort sympathisch und nimmt mich mit ihrem ernsten, aber hoffnungslos ehrlichen Erzählstil sofort gefangen. Der Autorin ist es gelungen, sie absolut authentisch und glaubwürdig zu zeichnen und die Tatsache, dass eine Dreizehnjährige sich wie eine Erwachsene äußert und verhält, stört überhaupt nicht, wird mit der Zeit sogar erwartet, denn Lou ist eben Lou und so mag ich als Leser sie.

Stilistisch wird das Bild, dass der Leser von Lou erhält, perfekt abgerundet: Die Sätze sind lang, auch Hauptsätze werden mit Kommas verbunden und drücken so den ungebändigten Äußerungsdrang von Lou aus. Zudem legt die Autorin ihrer Ich-Erzählerin sehr gewählte Worte in den Mund, Lou wirkt dadurch reif und gebildet. Und das ist sie ja schließlich auch.

Toll fand ich die erste Begegnung zwischen Lou und No. Zum ersten Mal sind beide nicht allein, werden nicht als Außenstehende behandelt, sondern bieten sich gegenseitig Halt und Schutz. Das liegt vor allem daran, dass No völlig unvoreingenommen und offen auf Lou zugeht und diese so zu einer anderen Person macht: Eine Person, die aus sich heraus geht, sich anderen öffnet und nicht abseits von allem Geschehen mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt ist.

Und auch No ist mir vom ersten Moment an sympathisch, obwohl sie ganz anders ist als Lou. Der Autorin gelingt es, dem Leser ihre Personen auch ohne ausschweifende Charakterisierungen nahe zu bringen. Auch Lous Eltern, die eine nicht unwesentliche Rolle für die Freundschaft zwischen den beiden Mädchen spielen, werden dem Leser allein durch ihre Geschichte und ihr Verhalten nahegebracht. Und das ist völlig ausreichend. Merkmale wie Alter, Haarfarbe, Augenfarbe sind in diesem Buch tatsächlich nur Nebensächlichkeiten, auf die der Leser keinen Wert legen muss.

Sowohl No als auch Lou haben eine ganz eigene Geschichte zu erzählen und im ersten Moment prallen zwei verschiedene Welten aufeinander. Doch es gelingt ihnen, sich anzunähern, sich auf den anderen einzulassen, und eine Freundschaft aufzubauen. Doch wird es ihnen gelingen, die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede zu beseitigen? Lassen sich zwei so unterschiedliche Welten tatsächlich miteinander verbinden?

Die Autorin bedient sich einer sehr einfühlsamen, leisen Sprache. Dabei gelingt es ihr spielend, sowohl lustige als auch traurige oder dramatische Szenen mit der richtigen Stimmung zu untermalen. Der Leser kann also gar nicht anders, als sich den Gefühlen der Protagonisten anzupassen. Delphine de Vigan schafft eine ganz eigene und dichte Atmosphäre, die den Leser gefangen nimmt und ihn am Lesen hält, obwohl das Buch im eigentlichen Sinne nicht spannend ist. Es ist berührend und schonungslos ehrlich, dabei sehr charmant und wunderschön.

Abschließend bewerte ich das Buch mit 4 von 5 Sternen. Ich habe dabei einen Stern für den Schluss des Buches abgezogen. Ohne zu viel verraten zu wollen, muss ich daran kritisieren, dass er mich als Leser nicht zufrieden gestellt hat. Er ist ohne Zweifel nachzuvollziehen und sicher auch sehr passend für den Verlauf der Geschichte. Aber ich kann das Buch nach dem Beenden nicht mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht schließen. Dabei erwarte ich gar nicht immer ein Happy End, sondern ich erwarte einfach einen Schluss, der keine Fragen offen lässt. Diese Erwartung meinerseits wurde hier leider nicht erfüllt. Deshalb der Punktabzug.

Sehr gelungen und passend zum Buch finde das Cover auf dem Schutzumschlag. Es ist farblich sehr schön gestaltet und drückt aus, wie man sich als Jugendliche oft fühlt: Wie Blätter im Sturm, hilflos ausgeliefert, machtlos, hin und her gerissen.

Auch wenn die Ich-Erzählerin des Buches eine Dreizehnjährige ist, ist das Buch kein Jugendbuch. Lou erwartet von den Lesern ihrer Geschichte viel Aufmerksamkeit. Das Buch liest sich nicht nebenbei, sondern man muss sich ihm widmen, ihm Interesse schenken. Jugendliche sind dem Schreibstil der Autorin wahrscheinlich einfach noch nicht gewachsen.

Mein Fazit:

Der Autorin Delphine de Vigan ist mit diesem Roman etwas ganz Wunderbares gelungen: Eine kleine leise Erzählung über das Leben, über Freundschaft und über das Erwachsenwerden.

Kommentare

Janine2610 kommentierte am 09. Februar 2014 um 22:17

Du bringst es mit deiner Meinung genau auf den Punkt. So eine tolle, nichts Wichtiges vergessende Rezension habe ich schon lange nicht mehr gelesen! ;-)

<3 Janine