Rezension

Nichts für zart besaitete Personen

Die Reise zum Horizont - Jürg Amann

Die Reise zum Horizont
von Jürg Amann

Mein Fazit: Abschließend würde ich Jürg Amanns Novelle empfehlen. Allerdings sollten zart besaitete Personen lieber die Finger von diesem Buch lassen. Es regt sehr zum Nachdenken an und übermittelt eine Botschaft unserer tiefsten Ängste, Ekel und Sehnsüchte. Allerdings muss ich einen Punkt abziehen, weil mich das Ende sehr frustriert hat. Nach all der Spannung und dem chronologischen Ablauf fehlt letztlich ein in sich schlüssiges, abgerundetes Ende.

Inhalt:

Die Novelle “Die Reise zum Horizont” von Jürg Amann beschreibt die Natur eines jeden Menschen, den natürlichen Selbsterhaltungstrieb und was der Mensch dafür bereit ist zu tun.
Erzählt aus der Wir Perspektive schildert diese Novelle die Entwicklung der Überlebenden nach einem Flugzeugabsturz auf einem kalten schneebedeckten Berg. Zunächst organisieren sie sich, indem sie Schlafsäcke aus Sitzpolstern des Flugzeugwracks basteln, Nahrungsmittel zusammentragen, sich Mut machen und auf die ersehnte Rettung hoffen. Aus Stunden werden Tage und aus Tagen wird die erste Woche. Die Natur zehrt an den Menschen und täglich fallen neue Opfer dem Tode anheim.
Als es ihnen nach langer Zeit gelingt ein Radio zum Laufen zu bringen, hören sie die schockierende Nachricht ihres Todes, wie es öffentlich verkündet wird. Die Suche wurde eingestellt und somit auch die Hoffnung der Menschen aufs Überleben.
Als sie nur noch ein Dutzend zählen und ihre Körper nach Nahrung schreien, sehen sie nur noch eine Lösung. Den Toten fehlt bereits die Seele, somit sind sie nichts anderes als ein totes Tier. Ein Kadaver, den man essen kann.
Werden sie wirklich zu diesem Mittel greifen und die Verstorbenen um ihres eigenen Überlebenswillen verzehren?

Meine Meinung:

„Die Reise zum Horizont“ ist meine erste Novelle gewesen, die ich mit Spannung gelesen habe. Es hat einige Seiten gedauert, bis ich in die Handlung hineinfinden konnte, habe mich danach aber nicht mehr losreißen können.
Zu stark ist der Drang weiter zu lesen, um zu erfahren, ob die Überlebenden noch gerettet werden, welches Schicksal sie erwartet und ob sie tatsächlich bis zum Äußersten werden gehen müssen. Es liegt in der menschlichen Natur alles zu tun, um zu überleben, doch ebenso sehr widerstrebt es unseren niedersten Instinkten etwas zu essen, was von gleichem Geschöpf ist und einmal unsere Familie hätte sein können.
Doch wenn es hart auf hart kommt, welchem dieser Triebe geben wir nach oder vielmehr, welchem können wir widerstehen?
Würden wir uns selbst für andere opfern, wenn wir wüssten, dass wir den anderen wenigstens tot noch nützlich sein könnten? Macht es noch einen Unterschied, ob wir dann in der Erde verrotten oder Menschen mit einem Überlebenswillen helfen?
Es ist eine ganz existenzielle Frage, die jede/r für sich selbst beantworten muss.
Jürg Amanns Werk bietet keine Antwort auf diese Frage, aber einen neuen, wertvollen Blick auf die Sicht dieses Themas.
Der Verlauf der Handlung war sehr interessant zu beobachten. Der Schreibstil ist komplett ohne Dialoge und die sachliche Erzählweise zunächst gewöhnungsbedürftig, unterstützt jedoch die Lage der verbliebenen Menschen und die schwierige Thematik des Buches.
Die Darstellungen waren logisch und in sich schlüssig. Die Menschen helfen einander, um zu überleben, fügen sich in die Gemeinschaft ein und versuchen mit Ideen einander zu retten. Im nächsten Schritt wird es schon kniffeliger, wenn die Vorräte allmählich knapp werden und täglich jemand stirbt. Als sie dann die Nachricht bekommen, dass sie für tot gehalten werden und die Suche eingestellt wurde, beginnt das Drama allmählich seinen Lauf zu nehmen. Bis zu diesem Punkt hatten sie noch die Hoffnung, die sie zusammenhalten ließ, doch nun beginnt diese allmählich zu verblassen und die Menschen werden in die Realität zurückgeholt. Es wird keine Rettung für sie geben. Wenn sie sich nicht selbst retten, werden sie sterben, genauso, wie es im Radio gesagt wurde.
Da das Nichtstun und auf den Tod warten nicht der gewöhnliche Wille und Weg ist, den wir wählen würden, beginnen die Überlebenden nun so richtig zu kämpfen.
Ihnen ist kalt, die Nahrung geht aus und sie suchen nun fieberhaft nach neuen Möglichkeiten. Da diese eine Möglichkeit, die eigene Art zu essen, gleichzeitig so naheliegend, wie auch pervers ist, wird es vorerst verleugnet.

Mein Fazit:

Abschließend würde ich Jürg Amanns Novelle empfehlen. Allerdings sollten zart besaitete Personen lieber die Finger von diesem Buch lassen. Es regt sehr zum Nachdenken an und übermittelt eine Botschaft unserer tiefsten Ängste, Ekel und Sehnsüchte.
Allerdings muss ich einen Punkt abziehen, weil mich das Ende sehr frustriert hat. Nach all der Spannung und dem chronologischen Ablauf fehlt letztlich ein in sich schlüssiges, abgerundetes Ende.