Rezension

Neue Perspektiven sorgen für einen eindrucksvollen Nachhall

Traumschiff - Alban N. Herbst

Traumschiff
von Alban Nikolai Herbst

Bewertet mit 4 Sternen

„Lange habe ich gedacht, dass wir einander erkennen. Aber das stimmt nicht. Wir verstehen uns nur“ sind die ersten Sätze von Herbsts „Traumschiff“, die den Leser empfangen und ihn in einen Roman ziehen, welcher immer wieder zum Innehalten und Nachdenken zwingt.   
Der Leser begleitet den fast 70-jährigen Gregor Lanmeister auf seiner Reise. Er ist ein Protagonist, der aufgehört hat zu reden, aber viel zu erzählen hat. Lanmeister schreibt von zahlreichen Kladden, die er an Kateryna adressiert. Dieser Roman scheint eine solche Kladde zu sein, die die Pianistin an Bord erhalten soll, wenn Lanmeister stirbt. Denn er wird sterben. Dafür ist er an Bord des Traumschiffes gegangen. Gemeinsam mit 143 weiteren Menschen, die wie er das „Bewusstsein“ haben, nimmt er Abschied vom Leben.       
Das Buch verbreitet trotz der Thematik keinen Schrecken, sondern schenkt Hoffnung: „Nicht einmal mehr vor dem Sterben habe ich Angst. Denn das wusste ich nun ganz genau, dass ich starb. (…) Das Bewusstsein ist gar nichts anderes. Nur dass es hier zu Licht wird“ (79). Der Roman verschweigt dabei nicht die schmerzvollen Momente des Prozesses. Lanmeisters Körper zerfällt im Fortschreiten der Geschichte. Er erleidet mehrere Anfälle und verliert die Kontrolle über seine Gliedmaßen. Es wird jedoch betont, dass Schmerz in diesem Abschnitt des Lebens seine Bedeutung verliert (49).        
Humorvolle Passagen unterstreichen, dass Bedrücktheit nicht aufkommen soll. Leicht gewöhnt der Autor den Rezipienten an den Sterbeprozess und berührt ihn auf eine einzigartige Weise, indem er durch seine Unmittelbarkeit nichts verleugnet, aber durch fantastische Einschübe der Thematik seine Schwere nimmt. Der innere Monolog wird dabei im Schreibstil dem sterbenden Erzähler gerecht. Die Sätze brechen ab oder werden zum Teil grammatikalisch falsch vervollständigt. Lanmeister vergisst Details oder ganze Personen und setzt Informationen falsch, oder anders als zuvor, zusammen. Leerstellen in seinem Gedächtnis beunruhigen ihn jedoch nicht. Nur ein Außenstehender, der Leser, wird unruhig. Mit tiefsinnigen Passagen besänftigt der Text den Rezipienten wieder und nimmt ihn mit zum Zentrum seiner selbst. Es wird ein neuer Blick auf die Bedeutung des Lebens und speziell auf die Existenz von Menschen ermöglicht, die sich in ihrer Wichtigkeit nicht von anderen Lebewesen unterscheiden.          
Das Buch regt somit zum Reflektieren an und lässt den Leser auch nach Beendigung des Romans nicht zur Ruhe kommen. Der Autor verzichtet auf eine vollkommene Aufklärung über die Tragweite der Traumschiff-Symbolik und überlässt es dem Rezipienten, interpretierend auf die Zeilen zurückzublicken. So lehrt das Buch den Umgang mit Personen, denen es nicht mehr möglich ist zu kommunizieren. Auch wenn die Person, die wir einmal kannten, tief in sich zurückgezogen ist, bedeutet es nicht, dass sie fort ist. Es bedarf, ihr weiterhin mit Respekt gegenüber zu treten. Der Körper nimmt stets wahr und so fühlt auch Lanmeister weiterhin. Wenn seine Ohren etwa hören, ob „wir denn heute schon Zähne geputzt [haben]?“ (148), fühlt er sich seiner Würde beraubt: „Weil man gar nicht mehr als eigenständige Person wahrgenommen wird. Sondern man wird unbesonders“ (148). Der Roman tritt mit dieser Perspektive für die ein, die es nicht mehr können und hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck, den man nicht missen möchte.