Rezension

Nervenzerreißender, effektvoller Kurztrip in die Geisterstadt

Das Dorf der toten Seelen - Camilla Sten

Das Dorf der toten Seelen
von Camilla Sten

Eine Gruppe junger Leute bricht auf nach Silvertjärn, um Material für einen Dokumentarfilm über das Geisterdorf zu sammeln. Der ehemalige Bergarbeiterort inmitten der Einsamkeit der schwedischen Wälder wurde vor sechzig Jahren aus bis heute ungeklärten Gründen verlassen, von den Bewohnern fehlt jede Spur. Alice, die die Filmcrew anführt, spürt eine Verbindung zu dem Dorf, denn ihre Urgroßmutter verschwand damals ebenfalls. Doch schon kurz nach der Ankunft des Teams in Silvertjärn häufen sich die mysteriösen Ereignisse, die düstere Atmosphäre des verlassenen Ortes tut ihr übriges und bald liegen die Nerven blank. 

Gruselig, nervenzerreißend und im wahrsten Sinne des Wortes schauererregend kommt der Roman von Camilla Sten daher. Dabei ist er viel weniger Krimi als klassischer Horrorroman, der den Leser unter größte Anspannung setzt und mit vielen unheimlichen Momenten und Wendungen konfrontiert. Hier werden quasi alle Register der Gothic Novel/des Schauerromans gezogen: einsames, verlassenes Dorf in einem entlegenen Winkel und von der Außenwelt abgeschnitten, kleines Team, das im Verlaufe des Romans noch an Größe verliert, unerklärliche Ereignisse mit übernatürlichem Touch, mysteriöse Geheimnisse, schauerliche Geräusche, religiöser Fanatismus, Wahnsinn usw. Alle diese Elemente werden dabei sehr gut in ein modernes Setting transportiert und funktionieren dabei erstaunlich gut: so wird nachvollziehbar erklärt, warum Handys nicht funktionieren und der Eifer des jungen Teams an dem Wunsch nach Instagram-Likes illustriert. 
Die Handlung überzeugt in erster Linie durch die wirkungsvoll eingesetzten Schauereffekte (das ist schließlich das Ziel des Romans), aber auch durch den sehr gut ausgearbeiteten Spannungsbogen, der dadurch, dass die Ereignisse innerhalb von vier Tagen stattfinden, sehr dicht ist. Die Schilderungen der Erkundung des Ortes durch das Filmteam werden durch Rückblenden, in denen die Urgroßmutter die Fokalisierungsinstanz ist, und Briefe ihrer Tochter aus dem Jahr 1959 ergänzt. Die Kombination aus diesen Passagen, die im "damals" spielen, und den heutigen Sequenzen, ermöglicht es dem Leser, dem Geheimnis immer näher zu kommen und die Ursachen für das abrupte Verschwinden der Dorfbewohner immer stärker einzugrenzen. Außerdem wird der Roman durch diesen Wechsel von "damals" und "heute" sehr kurzweilig und die Spannung noch erhöht. Zum Glück verzichtet das Finale des Romans auf eine übernatürliche Lösung und bleibt so nachvollziehbar und auch weitestgehend überzeugend (es ist bleibt und Fiktion!). 
Der Erzählstil ist sehr flüssig und passt sich wunderbar an die Erfordernisse des Schauerromans an. Die Protagonistin versteht immer gerade nur genau soviel von den Ereignissen, dass es dem Leser erlaubt wird, sich nervös und atemlos zu fragen, wie es weitergeht. Die erzählerische Unzuverlässigkeit und die Tatsache, dass die Erzählinstanz in der Vergangenheit unter psychischen Problemen litt, trägt außerdem dazu bei, dass man konstant darüber grübelt, wie verlässlich die Darstellung der Ereignisse ist. 

Für Freunde eines gepflegten, düsteren Nervenkitzels, der ohne überzogene fantastische Übernatürlichkeit auskommt, ist dieser Roman absolut geeignet. Horror-Fans und Liebhaber einer düsteren Atmosphäre werden hier bestimmt fündig. Wer hingegen einen düsteren, klassischen skandinavischen Krimi erwartet, wird dagegen vermutlich eher enttäuscht sein und sollte zu den anderen allseits bekannten Autoren des Genres greifen.