Rezension

...mit kleinen Einschränkungen gelungene Comic-Adaption!

Agatha Christie Classics: Mord im Orient-Express -

Agatha Christie Classics: Mord im Orient-Express
von Agatha Christie

Der renommierte Carlsen-Verlag (Richtig! Die Heimat von Harry Potter!) scheint die Queen of Crime für sich entdeckt zu haben. Die Überschrift „Agatha Christie Classics“ lässt vermuten, dass neben MORD IM ORIENTEXPRESS noch weiter Werke der weltbekannten Krimi-Autorin im Gewand einer Comic-Adaption folgen werden. Klug entschied sich der Verlag zum Start dieser Serie für diesen Kriminalromane aus Christies Feder, der auch dank seiner vielfältigen Umsetzungen für Film, Fernsehen und Bühne eine große Popularität genießt. Für alle, denen die Handlung vielleicht trotzdem nicht ausreichend bekannt sein sollte…

Hercule Poirot kann nur nach einigen Mühen und dank der Hilfe des mitreisenden Direktors der Eisenbahngesellschaft Monsieur Bouc ein Abteil im Kurswagen Istanbul – Calais des Orientexpress ergattern. Mitten im der Nacht versperrt eine Schneeverwehung die Strecke und zwingt den Zug zum Anhalten. Genau zu diesem Zeitpunkt wird der amerikanische Reisende Mr. Ratchett durch zwölf Messerstiche in seinem verschlossenen Abteil ermordet. Monsieur Bouc bittet Poirot, sich dem Fall anzunehmen. Da im Schnee keinerlei Spuren zu entdecken sind, muss sich der Mörder noch im Zug befinden. Im Abteil des Ermordeten findet Poirot einen nicht vollständig verbrannten Brief, aus dessen Rest er auf die Identität des Toten schließen kann: Bei Mr. Ratchett handelt es sich um den Verbrecher Cassetti, der durch Korruption und Bestechung seiner gerechten Strafe entkommen konnte. Cassetti hatte vor einigen Jahren die kleine Daisy Armstrong entführt, Lösegeld für sie erpresst und sie nach Erhalt der Summe erbarmungslos ermordet. Ihre Mutter erlitt daraufhin eine Fehlgeburt und starb an den Folgen. Ihr Vater wurde so von der Trauer übermannt, dass er Selbstmord beging. Eine Zofe von Mrs. Armstrong wurde fälschlicherweise der Mittäterschaft bezichtigt und stürzte sich aus einem Fenster in den Tod. So gehen fünf Leben auf das Konto von Cassetti, dem niemand eine Träne nachweinen würde. Poirot nimmt die Ermittlungen auf, doch weder die gefundenen Indizien noch die Zeugenaussagen der Mitreisenden ergeben ein klares Bild: Erscheint einer der Passagiere verdächtig, taucht unvermittelt ein Zeuge auf, der ein wasserdichtes Alibi liefern kann. Die Situation ist verzwickt: Hercule Poirots berühmten grauen Zellen arbeiten auf Hochtouren…!

Sehr bewusst habe ich hier genau dieselbe Inhaltsangabe gewählt, die ich für meine Rezension zum Roman erstellt hatte. Zeigt sie doch, wie nah sich Benjamin von Eckartsberg bei der Konzeption des Comics am Original gehalten hat. Selbst die bekannten Dialoge bzw. Dialog-Passagen wurden von ihm übernommen. Selbstverständlich fällt bei einem Comic der erzählerische Part weg, da das, was im Roman beschrieben wird, durch die Details der Zeichnungen vorgegeben wird. Da erfolgen zwangsläufig Kürzungen, und Handlungsstränge werden komprimiert wiedergegeben, um den Umfang der Geschichte auf ein genre-typisches Maß zu verdichten. Auch hierbei zeigte Benjamin von Eckartsberg sein Gespür, das Szenario so zu gestalten, dass die Geschichte nicht verfälscht und weiterhin stringent erzählt wird.

Die Zeichnungen von Chaiko überzeugen durch Atmosphäre und Detailgenauigkeit. So wird die klaustrophobische Stimmung im steckengebliebenen Zug recht gut wiedergegeben. Auch arbeitet Chaiko recht effektvoll mit dem Wechsel des Blickwinkels und fokussiert die Aufmerksamkeit der Betrachtenden durch die Wahl der Bildausschnitte. Bei der Physiognomie der Figuren zeigt er bei den Herren deutlich mehr Vielfalt als bei den Damen, die – mit einer Ausnahme – beinah gleichaltrig wirken. Zudem wechselt gegen Ende der Geschichte die Optik einer Protagonistin, was kurzzeitig bei mir für Irritation sorgte.

Alles in allem würde ich hierbei von einer gelungenen Umsetzung dieses Krimi-Klassikers sprechen. Wobei die Graphic Novel bzw. das Comic nach wie vor nicht zu meiner präferierten Lektüre zählt – voraussichtlich auch nie zählen wird. Dafür fehlt mir genau der oben bereits erwähnte erzählerische Part, der nochmals in die Tiefe geht und mir Feinheiten im Wesen der Figuren offenbart. Auch sprechen mich die charakteristischen Zeichnungen des Genres nur bedingt an, erscheinen mir eher wie Gebrauchsgrafiken und weniger wie eigenständige Kunstwerke, wie ich sie z. Bsp. bei illustrierten Büchern so sehr schätze und liebe.

All dies sind die Gründe, warum MORD IM ORIENTEXPRESS höchstwahrscheinlich das einzige Werk aus der Serie „Agatha Christie Classics“ bleibt, dem ich vorübergehend meine Aufmerksamkeit schenkte. Für Comic-Fans, die evtl. bisher nur wenige Berührungspunkte mit den Werken von Agatha Christie hatten, ist dies eine wunderbare Möglichkeit, sich ihnen anzunähern.