Rezension

Leichter, ironischer Gesellschaftsroman - und eine neu entdeckte Autorin

Ein unerhörtes Alter - Rose Macaulay

Ein unerhörtes Alter
von Rose Macaulay

Bewertet mit 4 Sternen

Mit Mitte 40 stellt Neville Hilary fest, dass ihr niemand mehr zuzuhören scheint und ihr Mann und ihre erwachsenen Kinder die Gesprächsthemen bestimmen. Nevilles alte Geschichten kennt inzwischen jeder in ihrer Familie. Neville und ihre Mutter scheinen beide um das Interesse der jüngeren Generation zu konkurrieren. Ein Familientreffen auf dem Landsitz der Mutter in St Mary’s Bay lässt geplatzte Illusionen und unerfüllte Träume dreier Generationen aufbrechen. In wohlhabenden Verhältnissen in Cornwall lebend, hatte Neville die Rolle der Frau übernommen, die ihrem erfolgreichen Mann den Rücken freihält. Männer konnten vor 100 Jahren mit ihrer Berufswahl nicht viel falsch machen, vorausgesetzt, sie wurden nicht gerade Schriftsteller. Töchter dagegen hatten es weit schwerer, die Erwartungen zu erfüllen. Nan, die zynische jüngere Schwester Nevilles, kann als Literaturkritikerin und brillante Schriftstellerin nicht genügen, nein, sie muss unbedingt von der Familie verkuppelt werden. Nevilles nicht sehr realistischer Vorsatz, ihr einst abgebrochenes Medizinstudium endlich abzuschließen, endet mit dem Lehrbuch im Liegestuhl – und das war es mit ihrer Karriere nach Ehe und Mutterschaft. Mrs Hilary, Nevilles unternehmungslustige Mutter, hat ein ähnliches Problem. Tätigkeiten wie Stricken und Gärtnern, die Frauen in ihrem Alter zugestanden werden, interessieren die Pfarrerswitwe nicht. Um endlich einmal im Mittelpunkt zu stehen, beginnt sie eine Psychotherapie. Vermutlich würde genügen, wenn ihr im Gespräch endlich jemand rechtgeben würde.

Der bereits 1921 im englischen Original erschienene Gesellschaftsroman zeigt eine Familie, in der begeistert geschwommen und Rad gefahren wird. Im Vergleich zur Großmutter, einer begnadeten Selbstdarstellerin, wirkt Nevilles Generation verwöhnt, zimperlich und prüde. Nevilles jüngere Schwester und ihre Kinder haben es offenbar weit schwerer als sie vor 20 Jahren, sich für einen Lebensweg zu entscheiden. Männern wird in dieser Welt gehuldigt, Frauen werden übersehen oder lassen sich herablassend behandeln.

In leichtem, ironischen Ton beobachtet Rose Macaulay die Generation 1880 und vorher geborener Frauen und deren Beziehung zu ihren Töchtern. Mit einem Werk von über 20 Romanen ist Macaulay meine Entdeckung dieses Sommers. Den Schwebezustand eines Ferienaufenthalts, nach dem für mehrere Generationen Weichen gestellt werden müssen, vermittelt sehr treffend ein Buchcover in Grüntönen.