Rezension

Ist man irgendwann zu alt zum Leben?

Signor Rinaldi kratzt die Kurve - Lorenzo Licalzi

Signor Rinaldi kratzt die Kurve
von Lorenzo Licalzi

Bewertet mit 3.5 Sternen

Der Titelheld ist zugleich Ich-Erzähler des Romans, ein des Lebens überdrüssiger Zyniker, der mit beißendem Spott beschreibt wie ihm die Mehrheit aller Menschen in seiner näheren aber auch ferneren Umgebung auf den Sack gehen. Als Misanthrop möchte ich ihn aber dennoch nicht bezeichnen, dafür hat er sich einen viel zu herrlichen Humor bewahrt!
Nun also hat er, nachdem er gerade das stolze Alter von 80 erreicht hat, beschlossen freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Es gibt für ihn anscheinend nichts mehr, wofür sich das Leben lohnt. Und er will auf gar keinen Fall als Pflegefall enden, und dann wäre es sowieso schon zu spät noch selbst Hand an sich zu legen.

Rinaldi legt seine Gedankengänge derart vernünftig und schlüssig dar, dass ich im ersten Moment gar keine Gegenargumente hatte. Aber so ein 'Gegenargument' kommt dann ja doch, in Form seines Enkels Diego, um den er sich kurzfristig kümmern muss, und mit dem er schließlich eine Fahrt nach Rom unternimmt. Ab dieser Stelle wird das Buch vom Thema her auch deutlich ernster, das hat mich erstmal sehr überrascht und aufgrund persönlicher Erfahrungen damit war ich da auch emotional berührt.

Vom Klappentext erwartete ich ein Roadtrip-Buch, bei dem sich Rinaldi und Diego näher kennen lernen. Es war auch ein Roadtrip, für meine Begriffe aber doch irgendwie zu wenige "Stationen" bzw. Ereignisse, oder wenigstens kleine Anekdoten. Und ich habe auch nicht das Gefühl gehabt, Diego sehr viel näher kennen gelernt zu haben. Sicherlich auch deshalb, weil ja alles aus der Sichtweise des Großvaters geschrieben ist. Hat er also seinen Enkel auch nicht näher kennen gerlernt. Ein bißchen wohl schon, er sagt es zumindest mehrmals, dass er dieses oder jenes bisher nicht über Diego gewusst hatte. Dennoch blieb der Junge für mich eine Randfigur, erst im Epilog konnte ich mir dann ein Bild von ihm formen.

Dennoch war es eine große Freude, einen humorigen Blick auf das Leben aus der Warte eines 80jährigen zu erhalten. Besonders die Stelle an der er darüber redet, dass man immer denkt (egal wie alt man ist): vor 10 Jahren war ich noch ein Jungspund - obwohl man sich damals vor 10 Jahren auch schon alt gefühlt hatte. Aber verglichen mit jetzt... Das sollte man sich vielleicht öfter mal vor Augen halten, wenn man mal wieder denkt "hach, ich bin so alt, mein Leben schon bald vorbei".