Rezension

Intrige aus Liebe

Der Friedhofswärter -

Der Friedhofswärter
von Ron Rash

Bewertet mit 3 Sternen

Kurzmeinung: Zu konservativer Nachkriegsroman

Naomi und Jack heiraten gegen den Willen ihrer jeweiligen Eltern. Zugegeben, Naomi ist schon noch sehr jung, gerade einmal 16 Jahre alt geworden. Naomis Eltern sind arme Bauern, aber ordentlich, Jacks Eltern sind die Cracks am Ort, haben sich etwas aufgebaut, die Sägemühle, den Laden, besitzen Grundstücke und helfen den Dörflern mit zinslosen Darlehen durch schwierige Zeiten; die Leute sind ihnen verpflichtet. Deshalb sagt auch niemand etwas, als die Eltern von Jack zu unlauteren Maßnahmen greifen, um die jungen Eheleute voneinander zu trennen. 

Der Kommentar und das Leseerlebnis: 
Die erste Hälfte des Romans „Der Friedhofswächter,“ vornehmlich aus Blackburn Gants Sicht erzählt, ist warmherzig und vermittelt das Gefühl eines Heldenepos. Denn der von der Polio gezeichnete beste Freund Jacks, der wegen seiner Verletzungen nicht in den Koreakrieg eingezogen wurde, ist ein selbstloser, aufrichtiger junger Kerl, stark wie ein Bär, aber entstellt, und soll auf die schwangere Naomi aufpassen, während Jack im Krieg ist. Das macht er auch, in allen Ehren, denn Blackburn ist ein Ehrenmann. Obwohl er natürlich Naomi liebt. Logisch. Aufrichtig und selbstlos. Der Roman beginnt jedoch mit einer Kampfszene auf einem zugefrorenen See und lässt einem den Atem gefrieren. Jack ist verletzt, aber nicht tot, wie man Naomi glauben macht. Bis hierher ist alles gut. Auch die Intrige, die die Eltern zusammen mit dem Sheriff und einigen bezahlten Hilfskräften spinnen, ist nachvollziehbar, wenn auch nicht ganz glaubwürdig.
In der zweiten Hälfte lässt der Roman freilich spürbar nach. Es gibt keinen Plot-Twist mehr und keine Zeitsprünge, die geholfen hätten, das Szenario aufzufrischen. Deshalb ist das einzige Spannungsmoment die Erwartung, wann und wie das Komplott aufgedeckt wird, mit anderen Worten, der Roman hat jetzt Längen. Und natürlich, wenn der gute Blackburn nicht gewesen wäre ...
Was hätte ich für einen Plot-Twist gegeben! Hätte doch Jack Veronika geheiratet und Blackburn Naomi – und dann nach xJahren hätten vielleicht deren Kinder die Wahrheit ans Tageslicht gebracht. Oder hätte er sich umgebracht. Oder Blackburn. Oder oder oder. Der Möglichkeiten viele. Ich hab aber nix zu sagen und der Autor hat den konservativen, etwas langweiligen steinigen Weg stetiger langsamer Aufdeckung samt Happy End gewählt. Nichts dagegen einzuwenden im Prinzip, doch die zweite Hälfte ist dadurch merklich fade geworden, ein unglaublich langsames Auslaufen, nachdem der Roman doch so schön Fahrt aufgenommen hatte.

Fazit: Einer ersten glänzenden Hälfte mit echten erzählerischen Höhepunkten folgt ein ausschweifendes Endstück ohne weitere Ideen. Schade. Es wäre so viel mehr drin gewesen. Aber immer noch gute drei Sterne. 

Kategorie: Gute Unterhaltung
Verlag: ars vivendi, 2024