Rezension

Interessante Einblicke in eine fremde Kultur

Das Lied der Arktis -

Das Lied der Arktis
von Bérengère Cournut

Bewertet mit 3 Sternen

Eine Welt, die jeden Moment kippen kann

„Während meines langen Lebens als Inuit habe ich gelernt, dass Macht etwas stilles ist. Etwas, das man empfängt und das – genau wie für Kinder und Lieder – durch einen durchgeht. Und das man wieder loslassen muss.“

Inhalt

Uqsuralik, die Frau aus Stein mit dem Wesen eines Bären und dem Namen eines Hermelins führt den Leser durch diese Geschichte. Sie selbst wurde in jungen Jahren von ihrer Sippe getrennt, weil die Packeisscholle auf der die Familie lebte, zerbrach. Und fortan ist sie sich dessen bewusst, dass sie in einer Welt lebt, die jeden Moment kippen kann. Als Mensch ist man in der kalten, eisigen, unberechenbaren Natur der Arktis vor allem auf andere Menschen angewiesen, auf deren Schutz und Know-How bezüglich der Jagd und des täglichen Überlebenskampfes.

Und so begleiten wir die junge Frau, die am Ende des Buches auf ein langes, erfülltes Leben zurückblickt, durch die Sommer und Winter ihrer Lebenszeit auf Erden. Sie schildert einfühlsam mit großer, klarer Ruhe die Höhen und Tiefen ihres Alltags, sie geht auf die Bräuche und Sitten ihrer Volksgruppe ein und zeigt, wie nah die Geister den Menschen kommen und warum man sich gut mit ihnen stellen sollte. Für Uqsuralik sind die lebensbedrohlichen Gefahren Normalität, sie kommt zurecht mit einem unerschütterlichen Gespür für die Begrenztheit des eigenen Daseins und einer vollkommen normalen Einstellung zu dem, was in ihrer besonderen Welt möglich ist und was nicht …

Meinung

Auf dieses Buch bin ich nach den vielen begeisterten Leserstimmen sehr neugierig geworden und habe es mit einer konkreten Erwartungshaltung begonnen – möglicherweise war das ein Nachteil für die Gesamtbewertung des Romans. Zunächst einmal hat mich der Einblick in die fremde Welt der Inuit sehr begeistert, denn auf leichte und poetische Art und Weise transportiert die französische Autorin Bérengère Cournut komprimiert auf den Seiten eines Buches wahnsinnig viel Inhalt über das Leben und Denken dieser Volksgruppe.

Angefangen bei der Versorgung, hin zur Jagd, zu den Bräuchen und Glaubensgrundsätzen, zu den verschiedenen Lebensmodellen und dem Zusammenleben innerhalb einer Gruppe – all das ist sehr informativ, fremd aber hochinteressant und liefert ein umfassendes Bild über die Tage im ewigen Eis und die Dankbarkeit derer, die so nah und unmittelbar an der Natur und der göttlichen Schöpfung teilhaben dürfen.

Leider behält dieser Roman seinen informativen Charakter bei und beschreibt mehr das Leben selbst, als die Emotionen der Protagonisten. Dabei sind es zwei Dinge, die mir nach und nach immer weniger gefallen haben: zum einen wird der Fließtext immer wieder durch kurze, situationsbezogene Lieder/Gedichte unterbrochen, die allerdings keinen erkennbaren Mehrwert für mich hatten, zum anderen trifften die Gedanken der Erzählerin immer wieder ab, ganz in die Nähe der Geisterwelt, mit der sie in Kontakt steht und die in teils kryptischen Erscheinungen Zugang zur diesseitigen Welt erhält. Gerade diese Passagen erhöhen zwar die Glaubwürdigkeit der Erzählerin, denn es ist mir absolut verständlich, dass sie alles und jedem eine Bedeutung zumisst, aber dadurch bleibt mir die ohnehin schon fremde Welt, gänzlich unverständlich.

Fazit

Hier werden es leider nur 3 Lesesterne, weil es diesem Roman nicht gelungen ist, meine emotionale Seite anzusprechen. Als erweitertes Sachbuch mit diversen Textauszügen, Bildmaterial am Ende des Buches und einem Abriss über das harte, naturverbundene Leben der Inuit, hätte das ganze eine gute Bewertung bekommen, doch da mir immer mehr der Zugang zu den Personen gefehlt hat und ich einfach nicht mit ihren Gedanken mitgehen konnte, verschließt sich mir eine tiefere Bedeutung und vor allem eine gewisse Aussagekraft.

Die erzählerische Komponente kommt mir zu kurz, gerade weil der Zeitraum eines ganzen Menschenlebens wiedergegeben wird, begleitet durch Hungersnöte, Geburten, Krankheiten und dem Tod und dort im ewigen Eis, scheint dieser Prozess nur eine Art Durchgangsstation zu sein – von allen akzeptiert, von allen gelebt, mit Erinnerungen durchsetzt. Und doch sind die Menschen dieser Welt in der sie existieren, so ausgeliefert, dass sie nehmen, was sie bekommen und jeder Tag ein besonderer ist, weil er gleichzeitig auch der letzte sein könnte – darin liegt viel Wahrheit, wenn man diesem Gedankengut etwas abzugewinnen vermag.