Rezension

Hervorragender Auftakt - Ich will mehr davon!

Urbat - Die dunkle Gabe - Bree Despain, Bree Despain

Urbat - Die dunkle Gabe
von Bree Despain Bree Despain

*Worum geht's?*
Grace Divine ist das typische Pastorenkind, genauso wie ihre Geschwister. Immer brav, hilfsbereit und selbstverständlich eine gute Schülerin. Besonders ihr Bruder Jude kann sich als Vorzeigejunge sehen lassen. Dies ändert sich, als ein alter Freund wieder auftaucht, der vor drei Jahren plötzlich verschwunden ist, in jener Nacht, in der Jude mit Blut überströmt auf der Veranda stand: Daniel. Immer, wenn er in der Nähe ist oder bloß zur Sprache kommt, wird der sonst so ruhige Jude aggressiv und ist für Grace nicht wiederzuerkennen. Sie muss ihm sogar versprechen, sich von Daniel fernzuhalten. Grace, die sich mehr und mehr zu ihrem alten Sandkastenfreund hingezogen fühlt, fällt dies sichtlich schwer. Sie fasst den Entschluss, dem Geheimnis der beiden Jungen auf die Schliche zu kommen. Was ist an dem Abend vor drei Jahren wirklich passiert?

*Kaufgrund:*
Das Cover hat dafür gesorgt, dass ich auf dieses Buch aufmerksam wurde. Nachdem ich den Klappentext gelesen hatte, war für mich sofort klar: Total mein Fall!

*Meine Meinung:*
Die Geschichte beginnt rasant und ohne jegliche Erklärungen. Bereits im ersten Kapitel taucht der mysteriöse Daniel auf und wirft das Leben von Grace und ihrer Familie aus allen Bahnen. Warum?, fragt man sich sofort, doch man bleibt genauso wie Protagonistin Grace für lange Zeit ahnungslos. Die Autorin weckt augenblicklich das Interesse ihrer Leser und spannt sie stark auf die Folter. Mit jeder neuen Seite wird man neugieriger, angespannter - man möchte endlich Antworten! Durch Rückblenden aus Graces Erinnerungen bekommt man bloß häppchenweise Informationen, die zur Aufklärung des Rätsels zu führen scheinen. Die endgültige Auflösung jedoch lässt lange auf sich warten! Langeweile kommt dadurch niemals auf; im Gegenteil: Despain fesselt ihre Leser bis zur letzten Seite. Neben der Liebesgeschichte zwischen Grace und Daniel und dem Geheimnis, das Daniel und Jude teilen, gibt es noch einen fesselnden Handlungsstrang über die kleine, düstere Stadt "Holy Trinity". Vor vielen Jahren hat das so genannte "Markham Street Monster" in der Kleinstadt für Angst und Schrecken gesorgt; nun ist es zurückgekehrt. Vielleser des Genres werden selbstverständlich sofort ihre eigenen Schlüsse ziehen und "Urbat: Die dunkle Gabe" für einen durchsichtigen Roman halten. Falsch gedacht, denn Despain hat einige überraschende Momente in Petto.

Jeder weiß, wie schwer es ist, sich mit perfekten Personen zu identifizieren. Sie können alles, sehen rund um die Uhr gut aus und bekommen alles, was sie wollen. Wir Leser brauchen Figuren mit Ecken und Kanten, mit Stärken und Schwächen. Bree Despain hat dies bei all ihren Charakteren wohl bedacht und individuelle, facettenreiche Persönlichkeiten erschaffen, die auf ganzer Linie überzeugen können.

Grace, die Protagonistin von "Urbat: Die dunkle Gabe", lernen wir als wohlerzogene Tochter eines Pastors kennen. Sie ist stets das nette Mädchen von Nebenan, das gut in der Schule ist, den Bedürftigen hilft und immer anständig und durchdacht handelt. Anfangs könnte man sie für eine einseitige Figur halten, die naiv und liebenswürdig durch das Leben zieht. Aber Despain lässt sie nicht die artige Gläubige bleiben, zu der sie erzogen wurde, sondern gibt ihr eine authentische, egoistische Seite. Grace tut genau das, was sie selbst für richtig hält, und bricht dabei bereitwillig Regeln und Versprechen, wenn es nötig sein sollte. Ihre eigenen Prinzipien bleibt sie jedoch immer treu und so bestimmen Gerechtigkeit und Fairness ihr Handeln.

Daniel ist derjenige, der Grace in diesem Roman den Kopf verdreht und zeitgleich für die Probleme sorgt. Vor drei Jahren ist zwischen ihm und Jude etwas vorgefallen, das die beiden Jungen, die vorher wie Brüder für einander waren, trennte. Nur sie scheinen zu wissen, was an jenem Abend geschah, doch Grace ist fest entschlossen, die beiden alten Freunde wieder zusammenzuführen - nicht ganz ohne persönliche Hintergedanken, schließlich möchte sie weder auf ihren Bruder noch auf ihren Geliebten verzichten. Das große Geheimnis macht Daniel und Jude zu enorm interessanten Charakteren, von denen man unbedingt mehr erfahren möchte. Während Jude der pragmatische, sture der beiden ist, versucht Daniel alles, um die vergangenen Geschehnisse wieder gut zu machen. Man kann es Grace dank seiner charismatischen und mysteriösen Art nicht verdenken, dass sie ihn mag. Mit den eigenen Schwärmereien versucht man sich als Leser allerdings zurückzuhalten. So ganz traut man Daniel nicht - zu Recht?

Selbst die restlichen Nebencharaktere überzeugen mit einzigartigen Charakterzügen. Besonders Don Mooney, der verwirrte, geistig zurückgebliebene Freund der Familie Divine, hat mein "Hinter dem steckt mehr, als man denkt!"-Gefühl geweckt. Aber auch der bodenständige Pastor und Vater Divine, die friedliebende Mutter Meredith, Graces interessiertes Mitschüler Pete und ihre lebhafte Freundin April gefallen durch ihre Individualität.

Die religiösen Elemente haben mir ausgesprochen gut gefallen. Der gesamte Roman ist übersät mit Bibelzitaten und Andeutungen, die die Autorin mit ihrer eigenen Geschichte verwebt und entsprechend interpretiert. Durch diese neue, innovative Auslegung verschafft Despain ihren Werwölfen einen speziellen Reiz und hebt sie vom Rest des Genres ab. Auch viele der Namen wurden mit einem religiösen Hintergrund ausgewählt und passen zu den Charakteren wie die Faust auf's Auge (Grace Divine, Charity Divine, ...).

Der Schreibstil der Autorin ist einem Jugendbuch angemessen. Durch Graces Augen beschreibt sie die Situationen und Umgebungen anschaulich, sodass man sich Grace, Daniel und die anderen Charaktere, aber auch die Orte wie die Kirche sehr gut vorstellen kann. Despain verstrickt sich nicht in zu ausführlichen Schilderungen oder langen Bandwurmsätzen; sie macht sich einen einfachen, deutlichen Schreibstil mit leichten Satzstrukturen zunutze, um einen stetigen Lesefluss zu garantieren. Die Leseatmosphäre, die Despain zugleich erschafft, gibt dem Buch das gewisse Etwas. Durch die düstere Stimmung wird die Spannung noch intensiver, der Drang zum Weiterlesen noch weiter angeheizt.

*Cover:*
Das Cover finde ich unheimlich schön - bis auf die Füße, die sind mir zu mager und irgendwie unheimlich. Dieser lila-farbene Stoff, der um die Beine weht, ist trotzdem ein echter Blickfang. Es handelt sich hierbei um das Originalcover, das auch die englische Ausgabe des Romans ziert. All das tröstet mich jedoch nicht über die Tatsache hinweg, dass hier jeglicher Bezug zum Inhalt fehlt...

*Fazit:*
"Urbat: Die dunkle Gabe" ist ein großartiger Serienauftakt. Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen und habe alle 431 Seiten in einem Rutsch gelesen, so gebannt war ich von der Geschichte um Grace und Daniel. Obwohl Despain viele altbekannte Motive genutzt hat, wie etwa die typische "Gutes, unscheinbares Mädchen verliebt sich in den mysteriösen Jungen"-Schema oder das "Kleine, gruselige Stadt in den USA mit einem eigenen Monster"-Klischee, kommt niemals das Gefühl auf, es handle sich hier um einen billigen Abklatsch. Despain hat ihrem Roman eine ganz individuelle Note verliehen. Ich vergebe 5 Sterne und will mehr davon!