Rezension

Grace

alias Grace - Margaret Atwood

alias Grace
von Margaret Atwood

Bewertet mit 4.5 Sternen

Mitte des 19ten Jahrhunderts wird die 16jährige Grace Marks wegen Mordes an ihrem Dienstherren verurteilt. Ihr Komplize landet am Galgen, sie selbst im Gefängnis. Doch ist Grace wirklich schuldig? Immer wieder kommen Zweifel auf. Jahre später befasst sich der Nervenarzt Dr. Simon Jordan mit ihrem Schicksal…

Margaret Atwood hat sich den realen Fall von Grace Marks vorgenommen und daraus eine meisterhafte Erzählung gemacht. Sie lässt Grace ihre Geschichte berichten und man ist als Leser schnell für das junge Mädchen eingenommen. Eine sympathische Figur, die allerlei Scheußliches erlebt. Immer wieder muss man sich in Erinnerung rufen, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, auch wenn Atwood die Lücken in der Historie natürlich füllen musste. Schuldig oder nicht, das ist die große Frage, die jedoch immer wieder in den Hintergrund rückt. Denn Atwood thematisiert u.a. die gesellschaftlichen Strukturen, die Frauenrolle im 19ten Jahrhundert und auch den Umgang mit den „Irren“ in dieser Zeit. Interessante Thematiken also, die sich rundum gelungen mit Grace’s Geschichte verbinden. Unterlegt wird das fiktive Geschehen mit vielen Zeitungsausschnitten, Briefen und Gedichten aus jener Zeit, sodass ein sehr authentisches Bild entsteht. Fasziniert hat mich auch wie unterschiedlich Grace in den historischen Quellen dargestellt wurde: auf der einen Seite das durchtriebene Flittchen mit mörderischen Absichten, auf der anderen Seite die harmlose Irre, die unschuldig im Gefängnis sitzt. Wo die Wahrheit dazwischen liegt, lässt sich bis heute nicht abschließend klären.

Auch Atwoods Erzählstil hat mir sehr gut gefallen, sie findet sowohl für Grace selbst, als auch für Jordan den richtigen Ton. Geduldig rollt sie die Geschichte auf und trotz des etwas holprigen Einstiegs, war ich von der ersten Seite an fasziniert und gefesselt.

Ein Roman, der Realität und Fiktion meisterhaft verbindet. Absolute Leseempfehlung!